Worüber reden wir, wenn wir über Kunst reden? – Teil 3
Vom Wirken der unsichtbaren Hand
„Ein tausendmal gelesenes Buch – das sind tausend verschiedene Bücher.“
Andrej Tarkowskij: Von der Verantwortung des
Künstlers, 1967
„Erst
durch die Handlung des Betrachters entsteht ein Werk.“
Franz Erhard Walther
Franz Erhard Walther
4.5 Kunst in der
Alltagssprache: Redewendungen
Alltagssprachliche Verwendung findet der Begriff ‚Kunst‘ auch in
zahlreichen stehenden Redewendungen. Bei diesen Äußerungstypen handelt es sich
um feste Wortverbindungen mit einer zeitunabhängigen etablierten Bedeutung. Sie
haben eine solche Konventionalisierungsstufe erreicht, dass der Angesprochene
nicht mehr die reflexive Intention, die Sprecher-Intention, erkennen muss, um
zu verstehen, was gemeint ist. Der Gebrauch solcher Redewendungen stellt vielmehr
eine kollektive Praxis dar, bei der die etablierte Verwendungsweise mit einer
entsprechenden Verständnisweise korreliert.
In diesen
Redewendungen finden jedoch keine der bisher genannten Gebrauchsweisen des
Begriffs ‚Kunst‘ Anwendung, auch wenn sich die eine oder andere Redensart
historisch auf eine solche zurückführen lässt. So ist es, angesichts der
vielfältigen Facetten und Gebrauchsweisen des Begriffs ‚Kunst‘, trotz des
Prozesses der sozialen Kristallisation einigermaßen erstaunlich, dass die
meisten Sprecher der deutschen Sprache den Begriff (resp. den Äußerungstyp) in
der Regel in allen Fällen angemessen verwenden: „Wir alle beherrschen die Semantik der Wörter unserer Alltagssprache
normalerweise perfekt. (…) Aber wir sind im Allgemeinen nicht in der Lage,
dieses implizite Wissen auch zu explizieren“ (Keller 2018b: 1).
Wir bezeichnen gerne so manches technisch feine Kabinettstückchen beim
Fußball als brotlose Kunst, wenn es partout
nicht zielführend ist (das Runde muss schließlich ins Eckige). In diesem Fall
ist es auch egal, wenn das Kabinettstückchen von einem so filigranen
Ballartisten wie Lionel Messi aufgeführt wurde, der sicherlich das beherrscht,
was der Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Philipp Selldorf, in der Bundesliga so sehr vermisst: Spielkunst37. Dieser heute noch als Suffix
gebräuchliche Reflex alter Gebrauchsweisen des Begriffs ‚Kunst‘ rekurriert
jedoch auf einen anderen Gebrauch des Begriffs als der metaphorische
Sprachgebrauch ‚brotlose Kunst‘. Denn dieser hat heute gar nichts mehr mit
Kunst zu tun. So kann ein Helikoptervater eingedenk des Hype um die MINT-Fächer
dem lieben Nachwuchs das Studium der Geisteswissenschaften durchaus mit den Worten vergällen,
dass dies doch brotlose Kunst sei. Wobei
wir uns in diesem Fall jedoch, unbewusst, der ursprünglichen, wörtlichen Bedeutung
annähern. Denn als brotlos wurden ehedem die künstlerischen, vor allem die
musischen Berufe bezeichnet, bei denen man sein Brot mehr als sauer verdienen musste,
um am Ende doch am Hungertuch zu nagen.
Ein so gewiefter
wie eloquenter Strafverteidiger kann die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft nach allen Regeln der Kunst auseinandernehmen, ohne dass
wir ihm gleich unterstellen würden, ein Künstler zu sein. Gleichwohl beherrscht
er ganz offensichtlich das, was einmal ‚Redekunst‘ geheißen und deshalb zu den
Künsten gezählt wurde. Aber auch dieser versierte Vertreter seiner Zunft wird sich
kaum darüber bewusst sein, dass hier ein wahrer, wörtlicher Kern in metaphorischer
Schale steckt: Etwa ab dem 14. Jahrhundert entstanden Regelwerke, Notationen
für Musikstücke. In ihnen wurden erstmals Regeln für Gesang, für Tasten- und
Saiteninstrumente schriftlich festgehalten. Wer nun diese perfekt beherrschte,
beherrschte sein Instrument eben nach
allen Regeln der Kunst.
Heutzutage kann jeder,
egal ob Polier, Zahnarzt oder Bibliothekar, mit
seiner Kunst am Ende sein. Aber das
gilt nicht nur für den jeweilig ausgeübten Beruf. Auch wenn es um das Hobby
geht oder um die Ausübung elterlicher Pflichten ist diese Aussage, sollte sie denn
zutreffen, angemessen. Bisweilen mache selbst ich von dieser Aussage Gebrauch. Dann
wende ich mich aber nicht, wie weiland Faust, der ‚schwarzen Kunst‘, der Magie,
zu. Sondern würde, wenn es nicht anders geht, eher dazu neigen, psychologische
Hilfe in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall würde ich es allerdings angesichts
meines seelischen Zustands als reichlich unpassend empfinden, von dem
behandelnden Psychologen ganz jovial mit den Worten begrüßt zu werden: Na, was
macht die Kunst? Jeder weiß – implizit, nicht explizit – um die Regeln des
Gebrauchs dieses Äußerungstyps: Es ist eine Begrüßungsformel unter Freunden und
Bekannten, sie ist also für den Psychologen im therapeutischen Kontext grundsätzlich
unpassend (selbst wenn er ein Freund oder Bekannter wäre). Aber auch für Freunde
und Bekannte verbietet sich eigentlich diese Begrüßungsformel, so sie denn um
meine Probleme wissen.
Da, wo es heute
ganz allgemein um die Frage nach dem Befinden geht, wurde früher ganz konkret
nach dem Befinden im Beruf gefragt. So in Gotthold Ephraim Lessings Trauerspiel
‚Emilia Galotti‘, wo Hettore Gonzaga, der Prinz von Guastalla, den Hofmaler
Conti fragt: „Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?“ Worauf Conti
antwortet: „Prinz, die Kunst geht nach Brot." Da
ist sie wieder, die brotlose Kunst.
Das ist doch keine Kunst, einen Handstand zu machen, wird mir ein geübter
Turner sicherlich sagen, wenn er sieht, wie ich mich ungelenk abmühe, einen solchen
zu machen. Ich bin da entschieden anderer Ansicht als er: Es zu können ist eine Kunst für sich. Möglicherweise wird
er mir auf meinen Einwand entgegnen: Ach was – die Kunst besteht darin, sich zu überwinden. Aber unabhängig davon,
wie nun der Disput zwischen dem Turner und mir ausgehen mag: Hier und in allen
anderen Redewendungen hat ‚Kunst‘ nichts (oder nichts mehr) mit Kunst (weder
mit unserem heutigen noch mit dem ehemaligen Gebrauch resp. Verständnis) zu
tun, sondern allein etwas mit Können. Was etymologisch gesehen sogar korrekt
ist. Denn das althochdeutsche Wort ‚kunst’ ist ein Verbalabstraktum zu
‚können’. Allerdings bedeutete es nicht ‚Können‘ im heutigen Sinn, sondern ‚Wissen,
Verstehen‘ und war eine Lehnbedeutung, die sich aus der Übersetzung des
lateinischen ars und griechischen techné herleitete.
Heute jedoch, so
können wir es dem Duden in der Bedeutungsübersicht zum Begriff ‚Kunst‘ online
entnehmen (www.duden.de/rechtschreibung/Kunst#Bedeutung2), versteht man unter
Können eher ein „besonderes Geschick,
[erworbene] Fertigkeit auf einem bestimmten Gebiet“. In dieser
Gebrauchsweise des Begriffs kann dann schon mal etwas zur Kunst erhoben werden,
was bestenfalls eine Fähigkeit resp. Fertigkeit ist. So etwa die Kunst des
Schweigens. Oder die der Zweideutigkeit, der Entsagung und der Annäherung. Doch
was ist mit der Kunst des Lesens und Schreibens, die doch soziokulturell ein
deutlich höheren Stellenwert besitzt als jene vorgenannten Künste? Und die
Kunst der Architekturfotografie? Ist sie vielleicht nicht mehr nur ein Können,
sondern bereits Kunst?
5. Kunsttheorie
und Kunstästhetik
5.1 Reinold Schmücker: Was ist Kunst?
5.1.1 Der Kunstbegriff als
Beurteilungsbegriff.
Oder: Wie erkenne ich ein Kunstwerk als Kunstwerk?
Oder: Wie erkenne ich ein Kunstwerk als Kunstwerk?
In seiner 1998
veröffentlichten Dissertation hat der Kunstphilosoph Reinold Schmücker eine für
den Diskurs in der deutschsprachigen Ästhetik zentrale Arbeit vorgelegt, die bereits
in ihrem Titel gleich in zweifacher Weise einen hehren Anspruch erhebt. Zum
einen stellt sie dort die Frage aller Fragen des Kunstdiskurses, die Frage nach
der „Eigenart der Kunst als Kunst: das,
was man traditionell ihr Wesen nennt“ (Schmücker 2017: 7). Es ist dies die „Frage nach den essentiellen Eigenschaften
von Kunstwerken“ (Lüdeking 1998: 204), die ‚metaphysische‘ Frage: Was ist
Kunst? Zum anderen beansprucht die Arbeit, so heißt es im Untertitel, nichts
weniger als eine kritische „Grundlegung
der Kunstphilosophie“ zu sein. Dabei reflektiert Schmücker jedoch nicht,
wie man vermuten könnte, den Begriff der ‚Kunst‘ im Allgemeinen und seine
vielfältigen Gebrauchsweisen im Speziellen. Nein, im Gegenteil. Er umgeht auf
denkbar einfachste Weise die Klippe, auf die der Kunstphilosoph Karlheinz
Lüdeking unter Bezug auf Wittgenstein hinwies: „Es gibt offenbar so viele verschiedene, sich widersprechende
Verwendungsweisen des Kunstbegriffs, daß man davon verwirrt wird, denn eine
solche Verwirrung entsteht vornehmlich dann, wenn ‚wir versucht sind, ein Wort
in mehreren verschiedenen Weisen zu gebrauchen‘“ (Lüdeking 1998: 204). Schmücker
reduziert schlicht den Gegenstand seiner Betrachtung, den er als den eigentlichen
Gegenstand der Betrachtung der Kunstphilosophie ausgibt, auf genau eine Gebrauchsweise,
klammert also alle anderen aus, als ließe sich so das Problem problemlos lösen:
„Um Kunst geht es ihr (…) nur in jenem
speziellen Sinn, in dem das deutsche Wort bestimmte Gegenstände ästhetischer
Erfahrung meint – kurz: ästhetische Kunst“ (Schmücker 2014: 65/67). Nur
konsequent, dass er in der Folge statt von ‚Kunstphilosophie‘ nur noch von der „Kunstästhetik als philosophische Theorie
ästhetischer Kunst“ (Schmücker 2014: 67) sprechen möchte.
Schmücker geht
es also um die „Kunst als solche“
(Schmücker 2014: 10), um das „Wesen der
ästhetischen Kunst“ (Schmücker 2014: 9), das er als eben „jene kunstspezifische Differenz“ (ebd:
9) identifiziert, „die Kunst von
Nicht-Kunst trennt“ (ebd: 9). Weshalb er in seinem Versuch, diese Differenz
klassifikatorisch zu bestimmen, eine Grundlegung für eine Kunsttheorie, aber keine
Kunsttheorie sieht, die der Zahl der konkurrierenden Kunsttheorien und
Kunstdefinitionen lediglich eine weitere hinzufügt – gerade in den letzten gut
70 Jahren ist, nicht zuletzt durch Ludwig Wittgenstein inspiriert und die
sprachanalytische Philosophie befördert, die Anzahl der Positionen insbesondere
im angelsächsischen Raum geradezu explodiert. Stellvertretend seien hier nur
Paul Ziff, Morris Weitz, William E. Kennick, Nelson Goodman, Arthur C. Danto,
Maurice Mandelbaum, Berys Gaut, Robert Stecker und Robert J. Matthews genannt. Schmücker
will demnach nichts weniger als den Nachweis führen, „daß die Frage ‚Was ist Kunst?‘ sinnvoll und eine Antwort möglich ist“
(Schmücker 2014: 9). Mit anderen Worten: dass es das Wesen der Kunst gibt und
benannt werden kann.
Hinter der Frage
nach dem Wesen der Kunst steht jedoch weniger der Glaube an eine wie auch immer
geartete mysteriöse, metaphysische essentia,
die alle Kunstwerke gleichermaßen durchweht. Es ist weit mehr der selige Wunsch
nach dem, was den Großteil der Kunstphilosophen, Kunstkritiker,
Kunstwissenschaftler und kunstinteressierter Laien eint. Und das völlig
unabhängig davon, ob sie, wie viele sprachanalytische Kunsttheoretiker es tun, „die Möglichkeit philosophischer Theorie
über das Wesen der Kunst grundsätzlich in Abrede“ (Schmücker 2014: 19)
stellen, oder sie, wie Schmücker, die
gegensätzliche Position vertreten und ihre ‚Existenz‘ behaupten: Es geht allen im
Grunde um die „Konzeption eines
klassifikatorischen Kunstbegriffs“ (Lüdeking 1998: 205), um die Konstitution
des Kunstbegriffs als „Beurteilungsbegriff“
(Schmücker 2014: 13).
Nun liegt aber
in eben diesem frommen Wunsch das Kernproblem begründet: Es gibt diesen Begriff
in der gewünschten Form nicht. Ja: Es kann ihn in dieser Form gar nicht geben. Wie
wir anhand der Grice’schen nominalistischen Konzeption der Etablierung der
Bedeutung aus dem singulären Gebrauch sowie Kellers Erklärung des Sprach- und
Bedeutungswandels durch das Modell der unsichtbaren Hand (cf. Kap. 2 ff.) erkannt
haben, gibt es strukturell nicht den einen, diachron ewig identischen, zudem verbindlich
normativ und klassifikatorisch wirkenden Begriff, ganz egal, ob er ‚Kunst‘,
‚Kultur‘, ‚Zivilisation‘, ‚Moral‘ oder sonst wie heißt. Darüber hinaus gilt,
zumindest für den Bereich der soziokulturellen Phänomene, dass auch sie sich
nach dem Modell der unsichtbaren Hand ergeben, entwickeln und verändern: als
kollektives, nicht-intendiertes Resultat individueller intentionaler
Handlungen. Ganz egal, ob es sich nun um Kunst, Kultur, Zivilisation, Moral
oder sonst etwas handelt. Und ihr Seinszustand ist jeweils der eines episodalen Ereignisses innerhalb eines
Kontinuums, also eines nicht endenden, kontinuierlichen Wandels. Kontinuierlich
zumindest solange, solange es handelnde Menschen gibt.
Sowohl jeder Begriff (‚Begriff‘ im Sinne von ‚Wort‘ wie auch von ‚Anschauung‘) als auch jedes soziokulturelle Phänomen sind flüchtige Naturen. In dem Moment, in dem man sie zu fassen sucht, sind sie bereits wieder vergangen. Verändert in kollektiven Prozessen, basierend auf individuellen Handlungen. Wobei sich in jedem synchronen Moment der Diachronie in jeder sozialen Gruppe, in jeder Gesellschaft, in jeder Kultur die Begriffe und die soziokulturellen Phänomene mitunter tausendfach, und sei es auch nur minimal anders, darstellen können. Wie sich angesichts dieses Umstands vermuten lässt, mündet die von Lüdeking angesprochene begriffliche Verwirrung derart vervielfacht zielsicher in ein komplettes Irresein, wenn nicht zur intellektuellen Notfallvorsorge eine verbindlich erscheinende klassifikatorische Kunstdefinition als Arbeitshypothese aufgestellt wird. So lässt sich den Beteiligten vielleicht für einen Moment eine gewisse Sicherheit im Sprachgebrauch und in der Beurteilung suggerieren. Aber dies darf immer nur unter einem prinzipiellen Erkenntnisvorbehalt geschehen: Wir hinken mit unseren definitorischen Versuchen den Gegebenheiten notwendigerweise hinterher, wollen festhalten, was de facto flüchtig ist.
Wenn Schmücker nun
es dem linguistic turn, der „eigentlich
eine sprachanalytische Horizonterweiterung ist“ (Schmücker 2017: 14), als
Verdienst anrechnet, einen Maßstab geliefert zu haben, „an dem sich jedenfalls die Kunsttheorien, die uns nicht
vorzuschreiben, sondern zu erklären suchen, was Kunst ist, messen lassen
müssen: den (in einer Kultur) üblichen Gebrauch des Kunstbegriffs“
(Schmücker 2017: 14), so ist ihm unumwunden zuzustimmen. Allerdings mit einer
nicht ganz unerheblichen Einschränkung, die sich aus dem Vorherigen ergibt:
Erstens gibt es nicht den einen üblichen Gebrauch des Kunstbegriffs (bestenfalls als idealtypische Gebrauchsweise). Zweitens ist jeder dieser Kunstbegriffe (jede Gebrauchsweise und jedes Verständnis) einem steten Wandel unterworfen (bei dem bestenfalls es eine temporäre diachrone Identität der Bedeutung gibt).
Auch darf nicht
vergessen werden: Bei allem Respekt vor der Intelligenz, dem Wissen und der
Kompetenz der Kunstexperten aller Fakultäten – nicht sie und schon gar nicht
sie allein konstituieren gültige Kunstklassifikationen und
Beurteilungskriterien. Zum einen entstehen diese immer zwingend auf Basis der
jeweiligen Lebenswelten und der individuellen Sozialisationen, durch die ein
jeder von ihnen ein vom ihm nicht explizierbares implizites Wissen um die Dinge
mit sich herumträgt. Zum anderen bedeutet es eine völlige Überschätzung seiner
selbst, ließe man den Einfluss der ungenannten, unbekannten Millionen Rezipienten
im alltäglichen Leben auf die Zuschreibung von Werken als Kunst, auf die
Konstitution, die Genese und den Wandel des Begriffs ‚Kunst‘ außer acht: Die in
einer Kultur üblichen Gebrauchsweisen des Kunstbegriffs (vorausgesetzt, es gibt
in der jeweiligen Kultur überhaupt einen solchen Begriff resp. eine solche Vorstellung)
werden nicht, auch wenn sich das vielleicht der eine oder andere Theoretiker
gerne wünschen würde, autoritativ und normativ gesetzt – sie werden in einem
Invisible-hand-Prozess kollektiv ermittelt (deren Resultate, wie gesagt, immer
nur episodale Ereignisse darstellen, die sich stets wandeln – die aber von uns Mängelwesen,
die der Synchronie des Daseins verhaftet sind, als dauerhafte Einrichtungen
erlebt werden: Wir nehmen das gerade Bestehende als Bestand an).
Das heißt: „(D)as alte Problem, wie man ein Kunstwerk
als solches erkennt“, (Lüdeking 1998: 205) ist keines. Oder genauer gesagt:
Es ist zum einen eines, das sich, überspitzt gesagt, in jedem Moment (in jeder
sozialen Gruppe, jeder Gesellschaft und jeder Kultur…) jeweils von neuem stellt.
Und zum anderen ist es eines, das sich in dieser Form nicht stellt. Denn wie
gesehen lässt sich strukturell sowohl die Konstitution der Gebrauchsweise der
Begriffs ‚Kunst‘, die Etablierung dessen, was unter ‚Kunst‘ verstanden und was
als ‚Kunst‘ angesehen wird wie auch die Zuschreibung von etwas als Kunst
ausgehend von einer singulären Handlung hin zu einer/m kollektiv resultierenden
Gebrauchsweise/Verständnis/Ansicht/ Zuschreibung systematisch erklären.
Ein unbeabsichtigtes Resultat der kollektiv etablierten Zuschreibung von Werken als Kunst-Werke (oder auch der Zuschreibung einer Form künstlerischen Schaffens als ‚Kunst‘) ist das, was Lüdeking den ‚klassifikatorischen Kunstbegriff‘ und Schmücking den ‚Kunstbegriff als Beurteilungsbegriff‘ nennt – in gleicher Weise konstituieren sich die Regeln des Gebrauchs eines Begriffs, also die Gebrauchsweisen, die, so Wittgenstein, die „für eine große Klasse von Fällen“ (Wittgenstein 1977: 41, PU 43) gelten. Und solche unbeabsichtigten Resultate sind eben jene Phänomene, die Keller Phänomene der dritten Art nennt.
Ein unbeabsichtigtes Resultat der kollektiv etablierten Zuschreibung von Werken als Kunst-Werke (oder auch der Zuschreibung einer Form künstlerischen Schaffens als ‚Kunst‘) ist das, was Lüdeking den ‚klassifikatorischen Kunstbegriff‘ und Schmücking den ‚Kunstbegriff als Beurteilungsbegriff‘ nennt – in gleicher Weise konstituieren sich die Regeln des Gebrauchs eines Begriffs, also die Gebrauchsweisen, die, so Wittgenstein, die „für eine große Klasse von Fällen“ (Wittgenstein 1977: 41, PU 43) gelten. Und solche unbeabsichtigten Resultate sind eben jene Phänomene, die Keller Phänomene der dritten Art nennt.
Die alltägliche
Frage, ob das, was man gerade liest, sieht, hört, spürt, ein Kunstwerk ist oder
nicht, lässt sich also nicht durch das nachträgliche Aufspüren obskurer
klassifizierender, möglicherweise sogar essentialistischer Kriterien
beantworten. Die Frage birgt vielmehr ihre eigene Antwort: Jede Beschäftigung
mit dem Werk durch den Einzelnen, sei es unmittelbar, intuitiv oder reflexiv, bereitet
die Zukunft vor – sie stellt die erste singuläre, individuell basierte Etappe
zur nächsten Episode im Wandel des kollektiven Verständnisses wie auch der
kollektiven Zuschreibung dar. Was bedeutet: Es gibt kein vorfindliches, verbindliches
Kriterium der Beurteilung, es ergibt sich vielmehr erst nachträglich als kollektives
Resultat aus dem steten Fluss der hunderttausendfachen individuellen Rezeption.
An dem jeder, der eine mehr, der andere weniger, strukturell teilhat. Und damit
Teil der Konstitution und des Wandels ist. Ohne es zu merken, ohne es zu wissen
(hier verbirgt sich ein immenser, die Demokratie fördernder gesellschaftspädagogischer
Auftrag: dass wir zukünftig nicht mehr, in der breiten Masse, nur unbewusst an
der Kunst ‚teil-haben‘, sondern aktiv daran ‚teil-nehmen‘ [cf. Gadamer 2012: 39]).
Die Frage nach vorfindlichen
Kriterien, wie wir ein Kunstwerk als Kunstwerk erkennen können, stellt sich also
nicht. Wir sind als Rezipienten im kollektiven Verbund systematisch erst an der
Bestimmung des Werks als Kunst-Werk beteiligt: „Der Mitspieler gehört zum Spiel“ (cf. Gadamer 2012: 42). So wie
sich im Prozess der Etablierung der Gebrauchsweise eines Wortes, die seine
Bedeutung ist (Wittgenstein 1977: 41, PU 43), die Regel des Gebrauchs ergibt,
so ergibt sich auch das etablierte und damit kollektive Verständnis von dem,
was Kunst ist und welches Werk ein Werk der Kunst ist, in einem Prozess der Etablierung
der Gebrauchsweise und Zuschreibung (die Prozesse der unsichtbaren Hand38 sind)
– zumindest gilt das für das
Verständnis der Kunst seit dem von Gadamer beschriebenen Paradigmenwechsel in
der Kunst im 18. Jahrhundert. Aus diesem Prozess der kollektiven Etablierung
der Beurteilungskriterien (die uns wie objektive Kriterien erscheinen
mögen, aber nun mal keine sind – und schon gar keine essentiellen) resultiert
ein jeweils temporär akzeptierter, gleichsam von einer gewissen Gruppe (wie
groß diese auch immer sein mag) internalisierter Maßstab. Vermöge dieses
Maßstabs sehen wir bisweilen spontan und intuitiv in einem Werk ein Kunst-Werk
so wie wir spontan und intuitiv richtig die ‚Regel‘ des Gebrauchs bestimmter
Begriffe und Äußerungen beherrschen (ohne dass wir sie kennen oder explizieren
könnten).
Dieser temporär
akzeptierte Maßstab, der einem steten Wandel unterliegt, ist aber nicht
zwingend gültig für alle Mitglieder einer Gesellschaft oder einer Kultur. Es
ist vielmehr wahrscheinlich, dass stets verschiedene Maßstäbe parallel
nebeneinander in verschieden großen Gruppen existieren und miteinander
konkurrieren. Besonders deutlich wird
dies angesichts eines künstlerischen Schaffens, das die etwas abgewandelte
Keller’sche Maxime der Originalität und Innovation überstrapaziert: „Mache Kunst so, dass du beachtest wirst.“
Nehme ich zu
wenig Rücksicht auf einen Minimalkonsens in puncto Akzeptanz, gefährde ich eben
diese – und damit den Erfolg meiner Absichten. Will ich auffallen und Erfolg
haben, muss ich beide Typen von Maximen, statische wie auch dynamische,
gleichzeitig befolgen. Und einen Kompromiss finden, der beiden gerecht wird.
Denn die für unsere Zwecke modifizierte
„Hypermaxime unseres Kommunizierens“ (Keller 2014: 142) lautet:
„Mache Kunst so, dass du die Ziele, die du
mit ihr verfolgst, am ehesten erreichst.“ (Keller 2014: 142)
Tut der Künstler
das nicht, läuft er, zumindest seit der Subjektivierung der Kunst ab dem 18.
Jahrhundert, der Klassifizierung seines Schaffens als Kunst deutlich vorweg:
Kunst wird prinzipiell erst nachträglich als ‚Kunst‘ im Sinne eines innerhalb
einer Gruppe etablierten evaluativen Begriffs attribuiert – bei innovativer
Kunst kann dieser Prozess Jahre und Jahrzehnte dauern. Vorausgesetzt, der Wandel
temporär akzeptierter Maßstäbe meint es gnädig mit ihr.
5.1.2 Ein
linguistischer Abgrenzungsversuch
Ungeachtet
dessen ist Reinold Schmücker der Auffassung, der Beantwortung der Frage nach
der „Eigenart der Kunst als Kunst: das,
was man traditionell ihr Wesen nennt“ (Schmücker 2017: 7), ein Stück näher
kommen zu können. Mehr noch: Er meint durch eine linguistisch fundierte Abgrenzung
verschiedener Gebrauchsweisen des Begriffs ‚Kunst‘ eindeutige
lexikalisch-semantische Kriterien eruieren zu können, die es ihm ermöglichen zu
sagen, wann wir von ‚ästhetischer Kunst‘ sprechen und wann nicht.
Da aber, wie
gesehen, auch die Zuschreibung prinzipiell einem beständigen Wandlungsprozess
unterworfen ist, der zudem noch asynchron zwischen verschiedenen Gruppen,
Gesellschaften und Kulturen laufen kann, und es deshalb mit großer
Wahrscheinlichkeit auch nicht immer nur genau eine und dann auch nicht eine für
alle und alle Zeiten verbindliche Zuschreibung dessen gibt, was als Kunst resp.
als ein Kunstwerk gilt, sondern es konkurrierende Zuschreibungen gibt, kann ein
lexikalischer Indikator dementsprechend auch keine allgemein verbindliche
Gültigkeit besitzen. Seine Aussagekraft ist immer eine relative: Sie gilt
bestenfalls für eine bestimmte Gruppe (wie groß sie auch immer sein mag)
innerhalb eines bestimmten Zeitraums (wie lang dieser auch immer sein mag) für
eine bestimmte Anzahl von Künsten/für bestimmte Werke, die als Kunst-Werke
angesehen werden (welche das auch immer sein mögen).
Wenn aber der
lexikalische Indikator für den einen angemessen anzeigt, dass hier von
(ästhetischer) Kunst gesprochen wird, für den anderen aber nicht (vielleicht
ist er ja auch noch unentschieden), so können wir hier kaum von einem
verbindlichen, etablierten lexikalischen Indikator für das reden, was Kunst ist
(mithin also für das Wesen der Kunst), sondern lediglich dafür, welchen
spezifischen künstlerischen Gestaltungsbereich eine bestimmte
Person/Gruppe/Gesellschaft/Kultur zum jetzigen Zeitpunkt als Kunst erachtet und
welches Werk sie mit dem Begriff ‚Kunst‘ attribuieren würde. Es ist also keine
objektiver, sondern ein singulärer subjektiver, bestenfalls im Laufe des
Prozesses erfolgreich kollektiv etablierter lexikalischer Indikator für das,
was man für Kunst hält. So zeigt er zum Beispiel an, ob x und y für eine bestimmte Gruppe Kunst ist,
nicht aber, ob x und y tatsächlich Kunst ist
(da müsste das Werk schon an einem ominösen überzeitlichen, metaphysischen ‚Wesen‘
der Kunst teilhaben). Damit verlassen wir aber das Gebiet der Semantik und
begeben uns tief ins Feld der Pragmatik (das Feld der Metaphysik überlasse ich
anderen).
Zurück zu
Schmücker und seinen lexikalisch-semantischen Kriterien, mit denen er glaubt,
rein sprachlich feststellen zu können, wann wir von ‚Kunst‘ sprechen und wann
nicht. Dazu identifiziert er drei seiner Ansicht nach „allgemeine lexikalische Grundbedeutungen“ (Schmücker 2014: 68 ff.)
des Begriffs ‚Kunst‘ im heutigen Sprachgebrauch:
I) die ästhetische
Kunst
II) die mechanische
Kunst
III) die bildende
Kunst
Die ‚bildende
Kunst‘, also die sich seit dem 17. Jahrhundert abzeichnende reduktionistische
Tendenz der Gebrauchsweise (cf. Kap. 3.2 ff.) des Begriffs ‚Kunst‘, die nach
und nach die anderen ‚schönen Künste‘ wie die Musik, die Literatur oder das
Theater ausschloss, wird von Schmücker unter der ‚ästhetischen Kunst‘
subsumiert, so dass er schließlich nur noch mit zwei Kunst-Begriffen operiert:
(1) die ästhetische
Kunst
(2) die mechanische
Kunst
Die Weise, wie
Schmücker den Begriff ‚ästhetische Kunst‘ verwendet, entspricht dem, was Kant
‚schöne Kunst‘39 nennt (Schmücker 2014: 69). Ihm ist „Kants Definition der mechanischen Kunst (…)
allerdings zu speziell“ (ebd: 68). Schmücker möchte
mit diesem Terminus nicht nur die Künste erfassen, die, wie für Kant, „die Herstellung eines möglichen
Gegenstandes zum Ziel haben“ (ebd: 68), sondern auch all jene Künste, die
sich alltagssprachlich als Kunst im Sinne einer Fertigkeit oder Fähigkeit
auszeichnen (bis hin zur „Kunst des
Kugelstoßens“ (ebd: 68). Im Rahmen dieser „definitorische(n) Grenzverschiebung gegenüber Kant“ (ebd: 69) erweitert
er die Gebrauchsweise des Begriffs „auf
eine bestimmte teleologische Handlungskompetenz“ (ebd: 73).
„Das Wort ‚Kunst‘ (besitzt) hinsichtlich
ästhetischer Kunst artefaktbezeichnende40,
hinsichtlich einer mechanischen Kunst jedoch
handlungskompetenzbezeichnende Kraft“ (Schmücker 2014: 73). Beide Künste
sind für Schmücker jedoch nicht scharf voneinander
getrennt, ist doch die mechanische Kunst subaltern in die ästhetischen Kunst
involviert: Die mechanischen Künste „sind
selbst niemals Kunstwerke, weil sie Fertigkeiten und keine Artefakte sind.
Umgekehrt setzt ästhetische Kunst im allgemeinen die Beherrschung einer
mechanischen Kunst seitens des Künstlers voraus“ (Schmücker 2014:
74).
Für Schmücker
kann der Begriff ‚Artefakt‘ alles umfassen, was ‚künstlich‘ ist, also Resultat individuellen
menschlichen Kunstschaffens ist, das als ästhetisch empfunden werden kann. Dazu
zählt er, was „einerseits funktional,
andererseits aber als Kunstwerk erfahrbar“ ist (ebd.: 74). So subsumiert
er, ganz konsequent, auch die ‚Gebrauchskunst‘ darunter. Nur führt er als
prototypisches Beispiel nicht, wie man vermuten könnte, kunstgewerbliche
Artefakte an, sondern das Hundertwasserhaus und Warhols Mercedes-Cars (ebd.:
75). Beides Artefakte, die zwar ‚zu gebrauchen‘ sind, aber mithin keine
Gebrauchskunst darstellen (zumindest nicht im heute etablierten Sinne auch des
eigentlich synonymen Begriffs der ‚angewandten Kunst‘, der Artefakte
kunstgewerblicher oder kunsthandwerklicher Art umfasst; im Steuerrecht gelten
übrigens all jene „Kunstgegenstände, die
nicht ‚als Kunstgegenstände anerkannt sind‘ und der
regulären Abschreibung unterliegen“, als
Gebrauchskunst: „Unter Gebrauchskunst sind daher Kunstgegenstände zu erfassen von geringerer
Bedeutung, die sich in einem geringeren Wert widerspiegelt“ [NKR-SH 2018]).
Durch seine „definitorische Grenzverschiebung gegenüber
Kant“ (Schmücker 2014: 69) hinsichtlich der Bestimmung der „Zweideutigkeit“
des Begriffs ‚Kunst‘, ‚ästhetische Kunst‘ vs. ‚mechanische Kunst‘ (was im Übrigen
einen Akt autoritativer Sprachfestsetzung darstellt), meint Schmücker ein
prototypisches Syntagma zu besitzen (darauf werde ich im Folgenden noch
detailliert eingehen), das es ihm auf rein linguistischer Ebene ermöglicht zu
erkennen, „ob von ästhetischer oder
mechanischer Kunst die Rede ist“ (Schmücker 2014: 69). Darüber hinaus
konstituiert diese Differenzierung der Künste laut Schmücker „in einer anderen Hinsicht ebenfalls eine
Zweideutigkeit des Wortes ‚Kunst‘“ (Schmücker 2014: 72):
(3)
Kunst als Artefakt (->
(1) ästhetische Kunst)
(4)
Kunst als teleologische Handlungskompetenz (->
(2) mechanische Kunst)
Der Begriff
‚Zweideutigkeit‘ ist unglücklich gewählt, ist er doch selber zweideutig: Einerseits
ist damit die Ambiguität gemeint, also die Doppel- oder Mehrdeutigkeit eines
Begriffs, andererseits, und das ist der umgangssprachlich übliche Typus, der
intentionale Gebrauch eines Begriffs (indem ich mich beispielsweise anzüglich
äußere). Aber da Schmücker hier durchgehend den Begriff ‚Zweideutigkeit‘ statt ‚Ambiguität‘
benutzt, zudem der Differenz der Zweideutigkeit eine korrespondierende Zweideutigkeit „in einer anderen Hinsicht“ an die Seite
stellt statt spätestens an dieser Stelle von Mehrdeutigkeit zu sprechen, ist
davon auszugehen, dass dies eine bewusste, zielgerichtete Verwendung ist: Er
will nicht einer Mehrdeutigkeit des
Begriffs ‚Kunst‘ das Wort reden, da er erstens alles auf den Begriff der ‚ästhetischen
Kunst‘ reduzieren und zweitens die Möglichkeit ihrer rein linguistischen Identifizierbarkeit
behaupten will. So glaubt er mit linguistischen Mitteln „das Feld der Kunstästhetik abgesteckt“ (Schmücker 2014: 75) zu
haben.
Dieser
vermeintlich zweite Fall der Zweideutigkeit lässt sich, so Schmücker, sprachlich
daran festmachen, dass man in manchen Fällen den Begriff „‚Kunst‘ bedeutungsneutral austauschen (kann) gegen die Vokabel ‚Kunstwerk‘“
(Schmücker 2014: 73) – nämlich überall da, wo von Kunst als Artefakt (3) die
Rede ist. Damit meint er neben dem prototypischen Syntagma ein weiteres semantisches
Instrument zu besitzen, das ihm auf rein sprachlicher Ebene ermöglicht
festzustellen, ob von ästhetischer Kunst die Rede ist oder nicht: „‚Kunst‘ ist also nur hinsichtlich
ästhetischer Kunst ein Synonym für ‚Kunstwerk‘“ (ebd: 73; damit wirft er
die Gebrauchsweise des Begriffs ‚Kunst‘ als sozialer Institution und die des
Begriffs ‚Kunst‘ als Attribution der Artefakte in eins). Wobei man sich hier
schon etwas verwundert die Frage stellen darf, hinsichtlich welcher anderen
Kunst denn wohl sonst noch die Rede von einem ‚Kunstwerk‘ sein könnte – die
bildenden Künste subsumiert er unter die ästhetischen Künste und die
mechanischen Künste können es ja nach eigener Aussage nicht sein, denn die „sind selbst niemals Kunstwerke, weil sie
Fertigkeiten und keine Artefakte sind“ (ebd: 74). Und weitere Künste stehen
für Schmücker nicht zur Diskussion.
Dabei erweitert
er, ausgehend von der Gebrauchsweise ‚Kunst als Artefakt‘ (3), in einem
Nebensatz beiläufig die Bedeutungen des Begriffs ‚Kunst‘ um zwei weitere
Bedeutungen resp. Gebrauchsweisen auf nunmehr sechs, ohne jedoch auf diese
Erweiterung in irgendeiner Form weiter einzugehen:
(5) Kunst als „Sammelbegriff für mehrere
(6) oder die Gesamtheit aller Kunstwerke“ (Schmücker
2014: 73/74)
Als
prototypische Syntagma für eine rein linguistische Identifizierung ästhetischer
oder mechanischer Kunst glaubt Schmücker
dann „drei Typen syntagmatischer
Kontextualisierung“ (Schmücker 2014: 70) sowie einen indifferenten Typus ausgemacht
zu haben:
I) „absoluter Gebrauch“
(Kunst tritt als Nomen ohne Artikel, Pronomen oder Attribution auf)
(Kunst tritt als Nomen ohne Artikel, Pronomen oder Attribution auf)
II) „indefiniter Gebrauch“
(Kunst mit unbestimmtem Artikel)
(Kunst mit unbestimmtem Artikel)
III) „definiter Gebrauch“
(Kunst mit bestimmtem Artikel oder näherer Bestimmung)
(Kunst mit bestimmtem Artikel oder näherer Bestimmung)
IV) „Syntagmen, die sich keinem Typus zuordnen
lassen“
(Dem Wort ‚Kunst‘ wird ein Interrogativpronomen (unter diesen Typus fällt dementsprechend auch der Gebrauch des Begriffs ‚Kunst‘ in Schmückers Eingangsfrage ‚Was ist Kunst?‘) oder ein Indefinitpronomen ‚keine(r)‘ vorangestellt).
(Dem Wort ‚Kunst‘ wird ein Interrogativpronomen (unter diesen Typus fällt dementsprechend auch der Gebrauch des Begriffs ‚Kunst‘ in Schmückers Eingangsfrage ‚Was ist Kunst?‘) oder ein Indefinitpronomen ‚keine(r)‘ vorangestellt).
Ø Fall I), der ‚absolute Gebrauch‘, zeigt dem Hörer/Leser
laut Schmücker eindeutig an, dass hier von ‚ästhetischer Kunst‘ die Rede ist.
Ø Fall II), der ‚indefinite Gebrauch‘, zeigt demgegenüber
an, dass von ‚mechanischer Kunst‘ die Rede ist.
Eine Erklärung, die
ein Hörer/Leser, wie Schmücker selber sagt, eigentlich gar nicht benötigt. Denn
„(w)er über Sprachkompetenz verfügt, weiß
spontan“ (Schmücker 2014: 70), dass das so ist: Er verfügt über eben jenes
implizite Wissen der Semantik der Wörter der Alltagssprache, von dem Keller
sprach (cf. Kap. 4.4.1). Ein Wissen, das wir in der Regel nicht explizieren
können.
5.1.2.1
Absoluter
Gebrauch
Um nun den Fall
I) „absoluter Gebrauch“ zu erläutern
(in denen der Begriff ‚Kunst‘ als
Nomen ohne Artikel, Pronomen oder Attribution auftritt), führt Schmücker
folgende Beispiele an:
(a) Ich schätze
Kunst.
(b) Ach so, der
Klotz ist Kunst!
(c) Ist das etwa
alles Kunst?
Das rein
linguistische Kriterium I), das Schmücker zur Bestimmung der Rede von
ästhetischer Kunst anführt, klingt, selbst bei einem solch isolierten, also
nicht in einen sprachlichen und/oder situativen Kontext eingebundenen Satz, zunächst
einmal recht plausibel: Bei (a) handelt es sich um eine generelle Aussage zur
ästhetischen Kunst (allerdings: hier befinden wir uns auf der Makroebene). Bei
(b) weiß man, das ‚Kunst‘ auf ein Artefakt referiert (allerdings: hier befinden
wir uns auf der Mikroebene). Und bei (c) lässt sich imaginieren, dass der
Sprecher auf Objekte bildender Kunst Bezug nimmt. In diesen drei Fällen können
wir davon ausgehen, dass das Thema der Sätze die ‚ästhetische Kunst‘ ist. Nur:
Handelt es sich bei dem, worauf der Sprecher Bezug nimmt, seiner Meinung nach
auch um ‚ästhetische Kunst‘? Oder bestreitet er vielleicht gerade, dass das,
worum es hier geht, ‚ästhetische Kunst‘ ist?
(a) ist über
jeden Zweifel erhaben. (b) lässt sich als Reaktion auf eine Aussage lesen, bei
der es im Vorfeld gewisse Zweifel daran gab, ob es sich bei dem Objekt wirklich
um ein Objekt ‚ästhetischer Kunst‘ handelte oder nicht doch eher um Kappes. Ein
möglicher Dialog könnte lauten:
Was soll das denn sein? / Das
ist ein echter Moore! / Ach so, der Klotz ist Kunst!
Wobei einem die Sprachkompetenz sagt: Wer zu einer Skulptur ‚Klotz‘ sagt, der ist nicht wirklich davon überzeugt, dass es sich hier um (ästhetische) Kunst handelt – der meint eher das Gegenteil dessen, was er sagt: Der Klotz ist keine Kunst!
Wobei einem die Sprachkompetenz sagt: Wer zu einer Skulptur ‚Klotz‘ sagt, der ist nicht wirklich davon überzeugt, dass es sich hier um (ästhetische) Kunst handelt – der meint eher das Gegenteil dessen, was er sagt: Der Klotz ist keine Kunst!
Davon abgesehen,
dass Schmücker hier zum einen klammheimlich Ebenen, die zu differenzieren sind,
in einen Topf wirft – in (a) geht es um die Kunst als soziale Institution, in
(b) hingegen um ein Artefakt – und zum anderen solche Fälle, in denen der
Sprecher etwas anderes meint als das, was er sagt, in seiner linguistischen
Systematik nicht berücksichtigt (das ist der Nachteil einer semantischen
gegenüber einer pragmatischen Klassifikation):
Die ‚eigentliche‘ Aussage des Satzes (b) ‚Ach so, der Klotz ist Kunst!‘ kann durchaus lauten: ‚Der Klotz ist keine Kunst!‘. Damit würde aber keine Aussage vom Typus I), sondern vom Typus IV) „Syntagmen, die sich keinem Typus zuordnen lassen“ vorliegen. Rein lexikalisch muss die Formel des ‚absoluten Gebrauchs‘ – ‚Nomen ohne Artikel, Pronomen oder Attribution‘ – also nicht zwingend anzeigen, dass ausschließlich von ‚ästhetischer Kunst‘ die Rede ist. Es kann auch anzeigen, dass es sich um einen Disput darüber handelt, ob es um ästhetische Kunst geht oder nicht.
Aussage (b)
zeigt also weder verbindlich an, dass es sich bei dem vorliegenden Werk um
Kunst handelt noch ob der Sprecher der Ansicht ist, dass es sich dabei um Kunst
handelt. Ja: Sie zeigt nicht einmal an, ob bei dem vorliegenden Werk überhaupt
von Kunst in irgendeiner Form die Rede sein kann – vielleicht handelt es sich ja
bei dem Klotz um einen gewöhnlichen Gesteinsbrocken, den der imaginäre
Gesprächspartner mir nur als Kunst unterjubeln will.
Thema der
Aussage (c) ‚Ist das etwa alles Kunst?‘
ist, so argumentiert Schmücker, die ästhetische Kunst – wie immer eindeutig zu
identifizieren am ‚absoluten Gebrauch‘: Der Sprecher scheint davon auszugehen, dass
es sich bei seinem Fund um ästhetische Kunst handelt. Offensichtlich ist er
aber nicht einer der Monument Men, der gerade staunend das Kalibergwerk
Kaiseroda betritt. Denn
der würde diesen Satz wohl nicht als Frage formulieren, die ja eine gewisse
Ungläubigkeit zum Ausdruck bringt. Was also, wenn es sich nicht um einen der Monument
Men, sondern schlicht um einen Banausen handelt, der angesichts einer Unmenge dilettantisch
gemalter röhrender Hirsche in Öl ernsthaft diese Frage stellt? Wie soll man ihm
antworten? Ist das nun (ästhetische) Kunst, keine Kunst oder schlechte Kunst?
Wo endet die deskriptive, wo beginnt die normativ-evaluative Begrifflichkeit?
Ist schlechte Kunst nun Kunst, ergo ‚ästhetische Kunst‘, oder doch eher keine
Kunst, nicht mal mechanische? Und was, wenn der Banause diese Frage in einem
ganz anderen Kontext stellt? Zum Beispiel im Museum of Modern Art in New York?
Dann klingt die Frage fast schon entsetzt nach: Soll das etwa Kunst sein? In diesem Fall meint auch er womöglich
das Gegenteil dessen, was der Ausdruck Schmückers Ansicht nach anzeigt: Das ist keine (ästhetische) Kunst, das ist
Schund!
Was hilft es uns
also zu wissen, wann der linguistische Indikator das Thema „ästhetische Kunst“ anzeigt?
Herzlich wenig. Wenn jemand voller Verzückung angesichts einer Müllhalde ausruft:
Das ist Kunst!, so mag der Indikator ja
deutlich anzeigen, dass hier von ‚ästhetischer Kunst‘ die Rede ist. Aber was
sagt das aus? Selbst wenn ich, wie Schmücker behauptet, den Begriff ‚(ästhetische)
Kunst‘ anstandslos durch ‚Kunstwerk‘ ersetzen kann, heißt das noch lange nicht,
dass es sich bei den Referenzobjekten um ‚ästhetische Kunst‘ handelt, sondern
nur, dass die betreffende Person, die gerade diesen entzückten Ausruf getätigt
hat, sprachlich auf ‚ästhetische Kunst‘ Bezug genommen hat – unabhängig davon,
ob es sich bei ihr um einen ausgewiesenen Experten, einen Menschen mit
ausgeprägtem Hang zur Ironie oder einen langjährigen Insassen der örtlichen
Nervenklinik handelt, der diesen Satz völlig zusammenhanglos und ohne
intentionale Bezugnahme auf irgendein Referenzobjekt äußerte.
5.1.2.2
Indefiniter
Gebrauch
Um den Typus II)
‚indefiniten Gebrauch‘ zu
illustrieren, in dem der Begriff ‚Kunst‘ mit unbestimmtem Artikel
auftritt und somit laut Schmücker die ‚mechanische Kunst‘ anzeigt, wählte er
folgende Beispiele:
(d) Das ist ja
wirklich eine Kunst!
(e) Wer solch eine
Kunst beherrscht, wird niemals darben.
(f) In einer Kunst
ist sie wohl Meisterin?
Das erste, was einem
ein halbwegs ausgeprägtes Sprachgefühl in diesen Fällen vermittelt, ist sprachliches
Unbehagen. Was sicherlich einerseits an der für unsere Ohren bisweilen etwas
altertümlichen Redeweise (‚wird niemals
darben‘; ‚ist sie wohl Meisterin‘) liegt, die Schmücker aus unerfindlichen
Gründen gewählt hat, andererseits aber auch daran, dass wir angesichts der Unbestimmtheit
der Aussage intuitiv Bestimmtheit fordern. Also eine situativ- und/oder
sprachlich-kontextuelle Auflösung, damit wir wissen, worüber eigentlich geredet
wird.
Der Bezugspunkt
liegt stets außerhalb des Satzes. Natürlich würde Schmücker antworten: Man
braucht solch einen Bezugspunkt als Auflösung doch gar nicht – mir zeigt ja der
unbestimmte Artikel an, wovon die Rede ist! Er geht davon aus, dass ein isolierter
Satz, der nicht in einen sprachlichen und/oder situativen Kontext eingebunden
ist, imstande ist, einem Sprecher mit entsprechender Sprachkompetenz eindeutig
anzuzeigen, über welche ‚Kunst‘ hier gesprochen wird. Die Frage ist nun erstens:
Ist das so? Ist dieser linguistische Indikator hinreichend? Oder könnte damit
nicht auch auf ‚ästhetische Kunst‘ Bezug genommen werden (wenn dem so wäre,
würde zumindest dieser Teil der Theorie damit falsifiziert werden)? Und zweitens:
Ist dem Hörer/Leser in einer konkreten Gesprächssituation dieser linguistische
Indikator schon völlig ausreichend? Oder erwartet er nicht, weil er nicht so recht
weiß, worauf sich diese Aussage nun konkret bezieht, eine explizite Auflösung, damit
er weiß, um was es sich hier genau handelt?
Wenden wir uns
der zweifelnden Frage zu: Zeigt
‚indefiniter Gebrauch‘ eindeutig die Rede von mechanische Kunst an? Um diesen
Zweifel ausräumen zu können, müssen wir nicht allein die Aussagen (d) – (f)
betrachten, sondern auch mögliche Auflösungen durchexerzieren, um so empirisch
belegen zu können, dass die These stimmt. Nehmen wir deshalb für den Fall (d) Das ist ja wirklich eine Kunst! einmal folgende
Auflösung an:
(D) Brotbacken ist
ja wirklich eine Kunst!
Unsere Sprachkompetenz
vermeldet uns kein Störgefühl, die Regel des Gebrauchs scheint nicht verletzt
zu sein – anscheinend zeigt der unbestimmte Artikel tatsächlich an, dass hier
von einer mechanischen Kunst geredet wird. Was Schmückers These bestätigen
würde. Aber es darf nicht ein einziger Fall vorkommen, bei dem das Gegenteil
der Fall ist – dies würde seine These widerlegen (das Hume’sche
Induktionsproblem lassen wir hier einmal beiseite). Wie sieht es nun mit
folgenden Beispielen aus:
(DI)
Malen ist ja wirklich eine Kunst!
(DII)
Schreiben ist ja wirklich eine Kunst!
Ein Großteil der
sprachkompetenten Sprecher der deutschen Sprache wird an (DI) und (DII)
nichts auszusetzen haben. Noch deutlicher wird dies vielleicht, wenn wir den
Satz etwas erweitern, so dass wir eine stehende deutsche Redewendung erhalten
(cf. Kap. 4.4.1):
(DIII)
Schreiben ist ja wirklich eine Kunst für sich!
Unser Sprachgefühl sagt uns, dass weder an (D), (DI) noch an (DII) oder (DIII) etwas auszusetzen ist. Wenn daran aber nichts auszusetzen ist – was sagen uns dann diese Sätze? Genauer gesagt: Was sagen sie uns laut Schmücker? Brotbacken ist eine mechanische Kunst, Schreiben ließe sich, wie das Malen, eher der ästhetischen Kunst zuzurechnen. Der unbestimmte Artikel weist jedoch, so Schmücker, unmissverständlich auf das Vorliegen einer mechanischen Kunst hin. Bleiben an dieser Stelle zwei Möglichkeiten:
1. Die These ist
falsch.
2. Ein
Hintertürchen wird geöffnet: Laut Schmücker steckt in jeder ästhetischen Kunst
auch noch eine mechanische Kunst – wer einen Roman schreibt, also ein Artefakt
erstellt, muss gleichzeitig eine mechanische Kunst beherrschen, das heißt eine
Fertigkeit (in dem Falle: das Schreiben), in der Terminologie Schmückers: eine „handlungskompetenzbezeichnende Kraft“
(Schmücker 2014: 73) besitzen.
Dann könnte
expliziert der Satz in etwa so lauten:
(DIV)
Schreiben zu können ist ja wirklich
eine Kunst (für sich)!
Was Schmücker
sprachlich hier bei dem Begriff ‚Kunst‘ differenziert, ist damit lediglich die
Unterscheidung zwischen einem Werk und einer Fertigkeit:
a. Rede ich von
‚Kunst‘, rede ich von ästhetischen Künsten:
von einem Artefakt, einem Kunstwerk (obwohl Schmücker in dem Beispielsatz für den absoluten Gebrauch (a) ‚Ich schätze Kunst.‘ die Doppeldeutigkeit des Begriffs ‚Kunst‘ als Artefakt und als soziale Institution in Kauf nimmt, ignoriert er sie: Sie würde sein schönes lexikalisches Grundmodell ins Wanken bringen) – er zählt alle Resultate individuellen menschlichen Kunstschaffens darunter, die als ästhetisch empfunden werden können. Bis hin zur Gebrauchskunst.
von einem Artefakt, einem Kunstwerk (obwohl Schmücker in dem Beispielsatz für den absoluten Gebrauch (a) ‚Ich schätze Kunst.‘ die Doppeldeutigkeit des Begriffs ‚Kunst‘ als Artefakt und als soziale Institution in Kauf nimmt, ignoriert er sie: Sie würde sein schönes lexikalisches Grundmodell ins Wanken bringen) – er zählt alle Resultate individuellen menschlichen Kunstschaffens darunter, die als ästhetisch empfunden werden können. Bis hin zur Gebrauchskunst.
b. Rede ich von
‚eine Kunst‘, rede ich von mechanischen Künsten:
von zielgerichteten, handlungskompetenzbezeichnenden Fertigkeiten – die auch eben jene Fertigkeiten einschließen, die die Künstler fürs ästhetische Kunstschaffen benötigen.
von zielgerichteten, handlungskompetenzbezeichnenden Fertigkeiten – die auch eben jene Fertigkeiten einschließen, die die Künstler fürs ästhetische Kunstschaffen benötigen.
Wie schon im
Fall des ‚absoluten Gebrauchs‘, der die ästhetische Kunst anzeigen soll, so beschleicht
einen auch im Fall des ‚indefiniten Gebrauch‘ das ungute Gefühl, dass mit einem
rein lexikalischen Kriterium bestenfalls ein brauchbarer Indikator dafür
gefunden ist, wovon die Rede ist. Aber noch nicht dafür, ob es sich bei dem,
wovon die Rede ist, auch tatsächlich um eine mechanische Kunst handelt:
(DV)
Kirschkernweitspucken – das ist ja wirklich eine Kunst!
Hier erahnt man,
wohin die von Schmücker vorgeschlagene ‚definitorische
Grenzverschiebung gegenüber Kant‘ führen kann: Zu einer den Begriff der
‚Kunst‘ völlig entwertenden Inflation mechanischer, zumal gänzlich absurder
Künste. Denn alles, was auch nur im Ansatz
das Kriterium ‚handlungskompetenzbezeichnende
Kraft‘ erfüllen kann, also alles, was sich irgendwie noch als eine
Fertigkeit auffassen lässt, ist Schmücker bereit, als eine ‚mechanische Kunst‘ aufzufassen
(und da ist das Kirschkernweitspucken noch lange nicht das absurdeste
Beispiel). Er möchte einerseits den alltäglichen Sprachgebrauch als Indikator
nutzen, entfernt sich andererseits aber in seiner Kunst-Klassifikation
zunehmend von ihm: Welcher sprachkompetente Sprecher der deutschen Sprache
spricht heute noch ernsthaft von der Kunst des Schreinerns? Oder, außer in diversen
Lebenshilferatgeber im deutschen Buchhandel, von der Kunst des Redens,
Sprechens, Lebens, Liebens, oder, wie Schmücker selbst, von der Kunst des
Kugelstoßens, Stabhochspringens oder Autofahrens (Schmücker 2014: 69)?
Damit
strapaziert Schmücker beide ‚Künste‘, die er im Rahmen seiner Grundlegung gelten
lässt, die ästhetische und die mechanische Kunst, über alle Maßen:
• Unter die ästhetischen Künste subsumiert er alle Resultate individuellen menschlichen Kunstschaffens, die als ästhetisch empfunden werden können
• Unter die ästhetischen Künste subsumiert er alle Resultate individuellen menschlichen Kunstschaffens, die als ästhetisch empfunden werden können
• unter die
mechanischen Künste ausnahmslos alle zielorientierten,
handlungskompetenzbezeichnenden Fertigkeiten.
Anlass genug, die Sinnhaftigkeit eines solchen Unterfangens in Frage zu stellen.
Wie gesagt: Die
Kombination ‚Nomen ‚Kunst‘ + unbestimmter Artikel‘ ist für Schmücker im
alltagsprachlichen Gebrauch der lexikalische Indikator dafür, dass hier die
Rede von mechanischen Künsten ist. Also die Rede von Fertigkeiten, nicht von
Artefakten resp. Kunstwerken. Da stellt sich zum einen die Frage, warum
Schmücker, wenn er denn schon den alltagssprachlichen Gebrauch als Indikator
heranzieht, dann keine alltagssprachlichen Beispielsätze anführt, sondern arg
verschwurbelte Konstruktionen. So wie:
(e)
Wer solch eine Kunst beherrscht, wird niemals darben.
(f)
In einer Kunst ist sie wohl Meisterin?
Zum anderen: Die
Kombination ‚Nomen Kunst + unbestimmter Artikel‘, also die Formulierung ‚eine Kunst‘, ist in der deutschen
Alltagssprache, außer in stehenden Redewendungen wie ‚ist eine Kunst für sich‘, recht ungebräuchlich. Was vielleicht
auch ein Grund dafür ist, warum uns die Beispielsätze etwas konstruiert
erscheinen – wer würde heute ernsthaft den Satz sagen: (f) In einer Kunst ist sie wohl Meisterin? Wenn aber kaum jemand in der
Alltagssprache jemals solche Sätze sagt, in denen ein ‚indefiniter Gebrauch‘ vom
Wort ‚Kunst‘ gemacht wird – welchen Aussagewert hat dann die Erkenntnis, dass der
‚indefinite Gebrauch‘ des Wort ‚Kunst‘ indiziert, dass es sich auf ‚mechanische
Kunst‘ bezieht? Einen recht bescheidenen.
Gut, lassen wir dies
für einen Moment einmal außer acht. Auch den Umstand, dass nicht recht
ersichtlich ist, warum er eine solch ungewöhnliche Frageform als Beispiel wählt
– die Frage ‚Ist sie wohl in einer Kunst
Meisterin?‘ würde dem Sprachgefühl deutlich näher liegen. Oder eher noch: ‚In welcher Kunst ist sie wohl Meisterin?‘ Letztere
Frage kann er aber in dieser Form nicht stellen, stellt sie doch keinen Fall
eines indefiniten Gebrauchs dar, sondern, nach seiner Definition, ein Syntagma,
das sich keinem der drei vorgenannten Typen eindeutig zuordnen lässt: ‚Nomen
Kunst + Fragepronomen‘.
So aber muss
Schmücker, um einen nach seiner These eindeutigen Fall vorzulegen, der erkennen
lässt, dass von einer Fertigkeit, das heißt von einer mechanischen Kunst die
Rede ist, eben jene ungebräuchliche sprachliche Konstruktion vorlegen, in der
er ein vermeintlich alltagssprachlich gebräuchliches lexikalisches Indiz
präsentiert:
(f) In einer Kunst ist sie wohl Meisterin?
Prüfen wir
einmal diesen Satz, indem wir versuchen, ihn zu falsifizieren. Also einen Fall
zu finden, der zeigt, dass hier nicht von einer Fertigkeit, sondern von einem
Artefakt (resp. einer sozialen Institution) namens ‚Kunst‘ die Rede ist. Dafür
beantworten wir die Frage folgendermaßen:
(FI)
Sie ist Meisterin in der Kunst des Kugelstoßens/Kirschkernweitspuckens/
Malens/Schreibens/Tanzens.
Malens/Schreibens/Tanzens.
Ob Schmücker
Recht damit hat, dass hier ein Fall von mechanischer Kunst vorliegt, lässt sich
anhand der Antwort nicht unmittelbar überprüfen. Denn es liegt die Form ‚Nomen
Kunst + bestimmter Artikel‘ vor, was auf einen ‚definiten Gebrauch‘ hinweist. Der
ist jedoch indifferent: „(D)as definit
gebrauchte Wort ‚Kunst‘ kann sich sowohl auf ästhetische als auch auf
mechanische Kunst beziehen“ (Schmücker 2014: 70). Um dennoch feststellen zu
können, „(w)elche Bedeutung das Wort
‚Kunst‘ besitzt“ (ebd: 71), reicht dann kein einfaches prototypisches
Syntagma mehr, sondern es bedarf einer komplizierten Umformungsprobe mit einem „stilistisch mitunter erbärmliche(n)
Resultat“ (ebd: 71). Mit ihr soll sich dann der definite Gebrauch
bedeutungsneutral entweder auf einen absoluten Gebrauch (also ohne weitere
Zusätze) zurückführen lassen, was auf die ästhetische Kunst verweist, oder auf
einen indefiniten Gebrauch (also mit unbestimmtem Artikel), der auf die
mechanische Kunst verweist.
Manchmal allerdings
ist es noch schwieriger. Dann hängt es sogar, wie Schmücker en passant zugibt, „von sprachexternen Faktoren ab, welche
Umformung adäquat erscheint“ (ebd: 71). Wie sich die Abhängigkeit von
sprachexternen Faktoren mit der Behauptung verträgt, es gäbe sprachinterne, das
heißt lexikalische Indikatoren, die ohne weitere kontextuelle Bezugnahme eindeutig
aufweisen, ob von ästhetischer oder mechanischer Kunst die Rede ist, weiß wohl
nur Schmücker selber.
Um
herauszufinden, von welcher Kunst die Rede ist, führt Schmücker neben den nun
sattsam bekannten lexikalischen Indikatoren und der Umformungsprobe auch die
genannten sprachexternen Faktoren an, die er jedoch nicht weiter erläutert. Was
er aber gänzlich unberücksichtigt lässt, ist eine weitere, sehr effektive Option:
die Möglichkeit, durch einen fiktiven Dialog zu eruieren, welche Gebrauchsweise
des Begriffs ‚Kunst‘ tatsächlich vorliegt.
Er unterlässt es
wohl deshalb, weil er dann zum einen den Bereich der Semantik verlässt und den
der Pragmatik betritt, was er ganz offensichtlich vermeiden will. Und zum
anderen, weil es innerhalb eines Dialogs recht wahrscheinlich ist, dass in ihm
nicht konsequent, wie von Schmücker gewünscht, nur von ‚Kunst‘ die Rede sein
wird, sondern auch von Dingen, die den Begriff ‚Kunst‘ rückbezüglich näher erläutern.
So wie in diesem kurzen Dialog:
(f)
In einer Kunst ist sie wohl Meisterin?
(FII)
Ja, in der Malerei ist sie wohl Meisterin.
(FIII) Ja, in der Literatur ist sie wohl Meisterin.
(FIII) Ja, in der Literatur ist sie wohl Meisterin.
(FIV)
Ja, in der Kunst ist sie wohl Meisterin.
Es dürfte wohl
kaum jemanden geben, der eine dieser alternativen Antworten [(FII),
(FIII), (FIV)] auf die Frage (f) als gänzlich unpassend
empfindet. Auch dürfte es wohl kaum jemanden geben, der bei der Formulierung
‚in der Malerei‘ spontan an die mechanische Kunst und damit an die Fertigkeit ‚malen‘
denkt – der Gedanke an die Kunstgattung ‚Malerei‘ liegt hier deutlich näher.
Gleiches gilt für (FIII), wo von der Literatur die Rede ist. Und im
Fall (FIV) wird wohl niemand weder an eine Fertigkeit noch an eine
spezifische Kunstgattung, sondern an die Kunst als solche denken. Das alles kann
aber Schmücker ganz und gar nicht gefallen. Denn es würde sein Konzept von den eindeutigen
lexikalischen Indikatoren weiter ins Wanken bringen, da die Indikatoren
mitnichten eindeutig das Gewünschte anzeigen. Zudem wäre er gezwungen, weitere
Gebrauchsweisen des Begriffs ‚Kunst‘ (als ästhetische Kunst) zu akzeptieren:
Neben der Kunst als Kunstwerk noch die Kunst als Gattung sowie die Kunst als
solche. Aber ausgerechnet von der mechanischen Kunst, die der indefinite
Gebrauch (f) nach seiner Theorie ja eindeutig anzeigen sollte, wäre nicht die
Rede.
5.1.2.3
Definiter
Gebrauch
Um den definiten
Gebrauch ,Kunst mit bestimmtem Artikel oder näherer Bestimmung‘ in Sätzen zu
illustrieren, gibt Schmücker folgende Beispiele:
(g) Morgen zeige ich
euch (die) Kunst der Neuen Wilden.
(h) Ob er je die Kunst
der Meditation erlernen wird?
(i) Nur wer die
Kochkunst beherrscht, ist ein ganzer Mann.
Durch die
Umformung „auf die Normalform des
absoluten Wortgebrauchs – das prädikative Syntagma ‚ist (nicht) Kunst‘ – oder
auf die Normalform des indefiniten Wortgebrauchs – das prädikative Syntagma
‚ist (nicht) eine Kunst‘“ (Schmücker 2014: 71) lässt sich, so seine These, leicht
herausfinden, von welcher Kunst hier die Rede ist:
(g‘)
Was ich euch morgen zeige, ist Kunst, und zwar die der Neuen Wilden.
(h‘)
Ob er je die Meditation, die eine Kunst ist, erlernen wird?
(i‘)
Nur wer zu kochen versteht, was eine Kunst ist, ist ein ganzer Mann.
Was sofort
auffällt, sind nicht allein die wiederum etwas eigenwilligen Beispiele, die
Schmücker wählt (‚Nur wer die Kochkunst
beherrscht, ist ein ganzer Mann‘), um „(m)it
linguistischen Mitteln (…) das Feld der Kunstästhetik“ (Schmücker 2014: 75) abzustecken – es ist auch der Umstand, dass Schmücker hier,
im Gegensatz zu den Beispielsätzen beim absoluten und indefiniten Gebrauch, konkret
angibt, von welcher Kunst die Rede ist. Davon abgesehen, dass es sich bei
diesen Sätzen auch ohne Konkretisierungen um vollständige deutsche Sätze
handeln würde: Wie will ich nachweisen, dass ein singulärer lexikalischer
Indikator (‚die‘), und sei es durch Umformung, hinreichend ist zu zeigen, von
welcher Kunst die Rede ist, wenn ich die Sätze jeweils durch die Angabe einer
konkreten Kunst ergänze, anhand derer ich, nach Maßgabe der aktualen konventionellen
Zuordnung, in der Regel leicht erkennen kann, ob hier von Kunst die Rede ist
oder nicht?
Wie dem auch
sei: Sind die Beispiele so plausibel, wie Schmücker meint? Machen wir eine etwas
ungewöhnliche Ersetzungsprobe. Und nehmen den Beispielsatz (g) Morgen zeige ich euch (die) Kunst der Neuen
Wilden. als Referenz:
(g1)
Morgen zeige ich euch (die) Kunst der Meditation.
(g2)
Morgen zeige ich euch (die) Kunst des Kochens.
Im nächsten
Schritt erfolgt dann, analog (g‘), die Schmücker’sche Umformungsprobe:
(g1.1) Was ich euch morgen zeige, ist Kunst, und zwar die der Meditation.
(g2.1)
Was ich euch morgen zeige, ist Kunst, und zwar die des Kochens.
Was sagt uns unsere
Sprachkompetenz der deutschen Sprache, also die intuitive Beherrschung der
aktualen Regeln des Gebrauchs von Äußerungstypen, zu diesen vier Fällen?
• zu (g1):
Der Gebrauch der Konstruktion ‚Nomen Kunst ohne Artikel‘ wird als falsch empfunden
– mit Artikel hingegen nicht.
• zu (g2):
dito
• zu (g1.1):
Der Satz wird als vollständig richtig empfunden.
• zu (g2.1):
dito
Das Ergebnis der
Umformungsprobe (g1.1) und (g2.1) irritiert einigermaßen.
Denn hier erscheint ohne Störgefühl der absolute Gebrauch (‚Nomen Kunst + keine
weiteren Zusätze), der laut Schmücker ein eindeutiges Signal dafür ist, das von
ästhetischer Kunst die Rede ist. Doch wovon ist hier die Rede? Von der
Meditation sowie vom Kochen. Entweder handelt es sich bei beiden Künsten um
ästhetische Kunst oder Schmückers Theorie ist falsch – oder aber irgendetwas
ist hier schief gelaufen.
In vorliegendem Beispiel können wir getrost letzteres annehmen. Das Konzept der Umformungsprobe scheint nämlich seine Tücken zu haben: (g‘), (g1.1) und (g2.1) besteht aus zwei Satzteilen. Bei dem ersten Satzteil – Was ich euch morgen zeige, ist Kunst. – handelt es sich genau genommen nicht um einen Satzteil, sondern um einen vollständigen deutschen Satz. Er ist für den sprachkompetenten Sprecher spontan als eine sinnvolle Aussage über Kunst im Sinne einer ästhetischen Darstellungsform zu verstehen. Und auch Schmückers lexikalisches Kriterium des absoluten Gebrauchs (‚Nomen Kunst + keine weiteren Zusätze‘), der auf ästhetische Kunst verweist, ist hier hinreichend. Der nachfolgende Nebensatz bringt also lediglich durcheinander, was zuvor bereits klar schien.
Dort kann nicht
nur, wie sich in (g‘) zeigt, von ästhetischer Kunst die Rede sein, sondern, wie
die Beispiele (g1.1) und (g2.1) zeigen, durchaus auch von
Künsten, die nicht unter die Schmücker’sche Definition ästhetischer Künste
fallen, sondern unter die der mechanischen Künste. Selbst von einer völlig
absurden Kunst kann hier die Rede sein:
(g3.1) Was ich euch morgen zeige, ist Kunst, und zwar die des
Fußnägelschneidens.
Dass wir nun das
Fußnägelschneiden spontan als Nicht-Kunst identifizieren können, liegt ganz
offensichtlich nicht an irgendwelchen lexikalischen Indikatoren, sondern an
unserer Sprachkompetenz, vermöge derer wir in vielerlei Fällen einen aktual
angemessenen Gebrauch vom Begriff ‚Kunst‘ machen können. Wohlgemerkt: einen aktual angemessenen. Denn auch dieser
Gebrauch ist letztlich nur ein episodales Ereignis (cf. Kap. 3.6 ff.) in einem
zeitlichen Kontinuum, eingebettet in unseren lebensweltlichen Bedingungsrahmen
(cf. Schmücker 2014: 117), das sich im Laufe des Sprachwandelprozesses
transformieren wird. Warum soll nicht dereinst wieder einmal die Kunst des
Redens in den Kanon der (ästhetischen) Künste aufgenommen werden41.
Oder auch die der Meditation (auch wenn sich hier die Frage nach dem
‚Kunstwerk‘ stellen würde42 – was aber schon wieder als ein
willkürlicher, normativer Eingriff in die Bestimmung des Begriffs ‚Kunst‘
aufgefasst werden kann; cf. Lüdeking 1998: 66 ff.). Oder die Kunst des Kochens.
Halten wir
Schmücker bei der Umformungsprobe dieses Beispiels zugute, dass die
Konstruktion
‚[vollständiger Satz + (Kunst ohne Zusatz)] + [Nebensatz mit Bestimmung der
Kunst]‘ schlicht unglücklich gewählt ist – sie lässt keine eindeutige lexikalische
Bestimmung zu, von welcher der beiden zur Disposition stehenden Künste hier die
Rede ist.
Versuchen wir
unser Glück bei einem anderen Satz:
(h) Ob er je die Kunst der
Meditation erlernen wird?
Nach Schmückers
Definition handelt es sich um einen definiten Gebrauch, der eine indifferente
Aussage zeitigt. Durch die Umformungsprobe soll sich erweisen, ob hier nun von
einer ästhetischen oder von einer mechanischen Kunst die Rede ist:
(h‘)
Ob er je die Meditation, die eine Kunst ist, erlernen wird?
Hier scheint
alles, so sagt uns auch unser Sprachgefühl, soweit in Ordnung zu sein: Kunst + unbestimmter
Artikel = mechanische Kunst. Aber auch das sollten wir nicht ungeprüft lassen.
Weshalb wir eine einfache Probe aufs Exempel machen wollen – wir ersetzen
‚Meditation‘ durch ‚Malerei‘:
(h1) Ob er je die Kunst
der Malerei erlernen wird?
Die
Umformungsprobe soll zeigen, von welcher Kunst in diesem Satz die Rede ist – von
der ästhetischen oder der mechanischen. Doch aus Gründen der Subversion stelle
ich in diesem Fall zwei Versionen zur Auswahl:
(h1.1)
Ob er je die Malerei, die eine Kunst ist, erlernen wird?
(h1.2)
Ob er je die Malerei, die Kunst ist, erlernen wird?
Die prädikativen
Syntagma ‚ist (nicht) Kunst‘ resp. ‚ist (nicht) eine Kunst‘, auf die sich „(j)ede Verwendung des Wortes ‚Kunst‘ (…)
zurückführen“ (Schmücker 2014: 71) lässt, müssten nach der Umformungsprobe ein
eindeutiges Ergebnis erbringen. Unser Sprachgefühl sagt uns aber etwas anderes.
Um das zu zeigen, wollen wir die Sätze (h1.1) und (h1.2)
auf ihre wesentliche Aussage hin reduzieren:
(h1.1.1)
Die Malerei ist eine Kunst.
(h1.2.1)
Die Malerei ist Kunst.
Ein unbestimmter
Artikel in Verbindung ‚Kunst‘ zeigt, so Schmücker, unweigerlich eine
mechanische Kunst an. Also müsste im Satz (h1.1.1) von ihr die Rede
sein. Die Malerei ist jedoch, zumindest nach allgemeinem Dafürhalten, eine
ästhetische Kunst. Vorausgesetzt,
ich gestehe zu, dass es sich bei diesem Satz um einen in jeder Beziehung
korrekten Satz der deutschen Sprache handelt, gibt es drei nun Möglichkeiten:
1. Ich behaupte mit
(h1.1.1), dass die Malerei keine ästhetische Kunst ist.
2. Ich behaupte damit
außerdem, dass sie eine mechanische Kunst ist (was, nach Schmückers
Explikation, zumindest bei der technischen Fertigkeit, dem ‚Malen‘, auch der
Fall ist).
3. Sollte die Malerei
jedoch eine ästhetische Kunst sein, wäre Schmückers These, dass der ‚indefinite
Gebrauch‘ eindeutig und unmissverständlich anzeigt, dass von mechanischer Kunst
die Rede ist, falsch.
Nur am Rande sei
bemerkt, dass auch die Umformungsprobe (h1.2) Ob er je die Malerei, die Kunst ist, erlernen wird? ihre Tücken
hat. Hier sollte ja eigentlich das prädikative Syntagma ‚ist Kunst‘, also „die
Normalform des absoluten Wortgebrauchs“ (Schmücker 2014: 71), nach der
Umformung anzeigen‚ dass wir von der Malerei als ästhetischer Kunst reden.
Allerdings schleicht sich dabei ein kleines Problem ein: Bei der Umformung
entsteht in allen Fällen (h‘), (h1.1) und (h1.2) ein
Relativnebensatz, der nun mal mit einem Relativpronomen (‚die‘) eingeleitet
wird. Der absolute Gebrauch, der die ästhetische Kunst indiziert, tritt aber
laut Schmückers Definition ohne Zusätze „wie
Artikel, Pronomen oder Attributionen“ (Schmücker 2014: 71) auf. Was liegt
nun vor? Ein Syntagma vom Typus IV), das sich keinem der drei bisherigen Typen
zuordnen lässt und hinsichtlich der Zuordnung ein indifferentes Bild ergibt? Das
deshalb ein zweites Mal und vielleicht sogar ein drittes Mal in die
Umformungsprobe-Mühle gesteckt werden muss, solange, bis wir endlich das
gewünschte Ergebnis erzielen?
Das ganze
Dilemma der lexikalischen Indikatoren zeigt sich bei der letzten
Umformungsprobe. Da wird aus:
(i)
Nur wer die Kochkunst beherrscht, ist ein ganzer Mann.
der Satz:
(i‘) Nur wer zu kochen versteht, was eine Kunst ist, ist ein ganzer Mann.
Davon abgesehen, dass sich einem sowohl in (i) als auch in (i‘) die Logik des Satzes nicht erschließt – warum soll das Beherrschen der Kochkunst eine notwendige Bedingung für ‚ein-ganzer-Mann-Sein‘ sein –, lautet demnach „die Normalform des indefiniten Wortgebrauchs – das prädikative Syntagma ‚ist (nicht) eine Kunst‘“ (Schmücker 2014: 71), so wie das prädikative Syntagma ‚ist Kunst‘ „die Normalform des absoluten Wortgebrauchs“ (ebd: 71) darstellt.
Schmückers
Beispiele, die oftmals fernab aller Alltagssprachlichkeit liegen und somit kaum
für einen Test taugen, können wir nun getrost beiseite legen – mit dieser
‚Normalform‘ haben wir ja nun die einfachste sprachliche Form gefunden, die es
uns ermöglichen sollte, zu überprüfen, ob jeweils von ästhetischer oder
mechanischer Kunst die Rede ist. Zumindest dann, wenn Schmücker Recht hat:
A.) x ist (nicht) eine Kunst
(-> indefiniter Gebrauch = Rede von mechanischer Kunst)
A.) x ist (nicht) eine Kunst
(-> indefiniter Gebrauch = Rede von mechanischer Kunst)
B.) x ist (nicht) Kunst.
(-> absoluter Gebrauch = Rede von ästhetischer Kunst)
(-> absoluter Gebrauch = Rede von ästhetischer Kunst)
So gerüstet
sollte eigentlich nichts mehr schief gehen. Der erste Versuch (A1.1),
die Variable x im Referenzsatz durch eine Vokabel zu ersetzen, klappt
vorzüglich. Doch schon der zweite Versuch (A1.2) stößt auf
sprachlichen Widerwillen:
(A1.1) Kochen ist eine Kunst.
(A1.2) Kochen ist nicht eine Kunst.
(A1.2) Kochen ist nicht eine Kunst.
Kein kompetenter
Sprecher der deutschen Sprache würde ernsthaft eine solche Konstruktion wie (A1.2)
wählen. Doch wenn sie niemand wählen würde – taugt sie dann als alltagssprachlicher
lexikalischer Indikator? Und vor allem: für was? Sollte Kochen ‚eine‘ Kunst
sein, wäre sie mechanische Kunst, keine ästhetische. Sollte sie aber nun ‚nicht
eine‘ Kunst sein – was ist sie dann? Und wie kann ich feststellen, ob Kochen
nun ‚eine‘ oder ‚nicht eine‘ Kunst ist? Oder kann Kochen gar, wenn schon keine
ästhetische Kunst, so doch sowohl mechanische Kunst als auch ihr Gegenteil, also
nicht mechanische Kunst sein – denn was anderes sollte ‚nicht eine‘ bedeuten,
wenn ‚eine‘ die mechanische Kunst indiziert?
Wenn überhaupt,
dann würde der alltagstaugliche Sprecher statt (A1.2) ‚Kochen ist nicht eine Kunst.‘ sagen:
(A1.2.1) Kochen ist keine Kunst.
In diesem Fall hätten
wir ein Syntagma des Typus IV) vorliegen. Bei ihm, so Schmücker, müssen wir
sprachexterne, also kontextuelle Faktoren zu Rate ziehen, weil sich nicht ohne
Weiteres feststellen lässt, von welcher Kunst die Rede ist – hier bestehen
seiner Ansicht nach zwei Umformungsmöglichkeiten:
(A1.2.1.1) Kochen ist nicht Kunst.
(A1.2.1.2) Kochen ist nicht eine Kunst.
Davon abgesehen,
dass wir uns mit der Umformungsprobe (A1.2.1.2) im Kreise bewegen,
ist im Falle (A1.2.1) Kochen
ist keine Kunst. Schmückers Hinweis auf die theoretische Möglichkeit zweier
Umformungsvarianten nachgerade Unsinn. Für den Fall (A1.2.1)
Kochen ist keine Kunst. gibt es
schließlich zwei etablierte alltagssprachliche Optionen, wie die Äußerung
‚keine Kunst‘ gemeint sein kann:
1. Beim Kochen handelt es sich nicht um eine Kunst (als solche) wie das
Theater,
die Literatur, die Musik43 (soziale
Institution/Makroebene).
2.
Es handelt sich hier um die alltägliche Redewendung ‚ist keine Kunst‘, die auf alle
möglichen Tätigkeiten Anwendung findet (cf. Kap. 4.5).
Wenden wir uns
noch der ‚Normalform‘ B.) x ist (nicht)
Kunst. zu. Sie soll anzeigen, ob von ästhetischer Kunst die Rede ist oder
nicht. Ersetzen wir die Variable x durch das nun schon sattsam bekannte
‚Kochen‘:
(B1.1) Kochen ist Kunst.
(B1.2) Kochen ist nicht Kunst.
(B1.2) Kochen ist nicht Kunst.
Lassen wir den
Fall (B1.2), bei dem wir bei der Umformungsprobe (A1.2.1.1)
landen, einmal außer acht – viel interessanter ist der Fall (B1.1) Kochen ist Kunst. Denn zumindest mein
Sprachempfinden vermeldet mir hier alles, nur kein Störgefühl. Im Gegenteil: Auch
wenn sich nun füglich darüber streiten lässt, ob ‚Kochen‘ Kunst ist oder (noch)
nicht – die Aussage resp. Behauptung ist völlig akzeptabel. Worüber sich kaum
streiten lässt, ist, dass in diesem in jeder linguistischen Hinsicht korrekten Satz,
der die nur denkbar klarste Form eines absoluten Gebrauchs – ‚ist Kunst‘ – beinhaltet, nach Schmücker eindeutig
die Rede von ästhetischer Kunst sein müsste.
Laut Schmücker zeichnet sich nun aber die ästhetische Kunst dadurch aus, dass sie sich auf Artefakte bezieht und „dass sich das Wort ‚Kunst‘ auf sie absolut, nicht aber indefinit anwenden lässt“ (Schmücker 2014: 72). Demgegenüber bezieht sich die mechanische Kunst auf eine Fertigkeit und damit auf „eine teleologische Handlungskompetenz“ (ebd: 72). Und „für mechanische Kunst (gilt), dass das Wort ‚Kunst‘ auf sie nicht absolut, wohl aber indefinit anwendbar ist“ (ebd.: 72). Nun ist aber das Kochen eindeutig eine Fertigkeit, also in Schmückers Terminologie eine mechanische Kunst, auf die das Wort ‚Kunst‘ nicht absolut anwendbar ist. Was aber im Fall (B1.1) der Fall ist. Damit er seine These aufrecht erhalten kann, muss er sagen, dass hier ein nicht angemessener Gebrauch des Begriffs ‚Kunst‘ vorliegt. Gleiches gilt in diesen Fällen:
(Ba) Malen ist Kunst.
(Bb) Musizieren ist Kunst.
(Bc) Meditieren ist Kunst.
(Bd) Kugelstoßen ist Kunst.
(Bd) Kugelstoßen ist Kunst.
Die Künste
werden von Schmücker definitorisch auf zwei Künste beschränkt: die
ästhetische und
die mechanische. Der Ausdruck ‚ist Kunst‘
zeigt laut Schmücker
lexikalisch
unmissverständlich ästhetische Kunst an. In allen Fällen (B1.1), (Ba),
(Bb), (Bc)
und (Bd) ist aber von einer Tätigkeit, nicht von einem Artefakt die
Rede ist. Wenn das der Fall
ist, kann es sich, so Schmücker, aber nicht um ästhetische Kunst handeln, denn,
Zitat Schmücker, „ästhetische Kunst (hat)
immer Artefaktcharakter“ (Schmücker 2014: 77). All überall durchwehen normative
Aspekte Schmückers Bemühungen um
eine explikative Theorie der Kunstästhetik. Was ihn nicht daran hindert zu
konstatieren:
„Weit davon entfernt, Vorschriften machen zu
können, wie der Kunstbegriff zu verwenden sei, ist die Kunstästhetik aufs
Erklären verwiesen: Ihre Definition der Kunst kann keine normative, sondern nur
eine explikative sein“ (Schmücker 2014: 79).
Entfernen wir
uns einen Moment von Schmückers uneingestandenen Normierungsversuchen. Und
schauen uns die Aussage ‚Kugelstoßen ist
Kunst‘ an, in der das Kugelstoßen nicht als mechanische, sondern als
ästhetische Kunst auftritt, um mit Schmücker gegen Schmücker zu argumentieren:
„Der Herausforderung durch neu entwickelte Kunstformen, die das Gemeinverständnis unter den Kunstbegriff subsumiert, obgleich sie dessen Grenzen zu sprengen scheinen, kann die Kunstästhetik deshalb nicht begegnen, indem sie bestreitet, daß der Kunstbegriff auf sie anwendbar ist. Denn die Anwendbarkeit auf Artefakte neuer Art ist in der Regel längst anerkannt, wenn sie dem Kunstästhetiker zum Problem wird“ (Schmücker 2014: 78).
„Der Herausforderung durch neu entwickelte Kunstformen, die das Gemeinverständnis unter den Kunstbegriff subsumiert, obgleich sie dessen Grenzen zu sprengen scheinen, kann die Kunstästhetik deshalb nicht begegnen, indem sie bestreitet, daß der Kunstbegriff auf sie anwendbar ist. Denn die Anwendbarkeit auf Artefakte neuer Art ist in der Regel längst anerkannt, wenn sie dem Kunstästhetiker zum Problem wird“ (Schmücker 2014: 78).
Wie sich ein
solches Gemeinverständnis und damit auch eine neue Gebrauchsweise des Begriffs,
seine Bedeutung, systematisch etablieren und wandeln kann, haben wir im Kap. 2
ff. und Kap. 4 ff. ausführlich erläutert. Führen wir uns noch einmal diese
detaillierte Explikationen vor Augen, so können wir daran leicht ermessen, dass
es nicht allein das „polyphone Konzert
des kunstkritischen Diskurses (ist), durch den das Gemeinverständnis von Kunst
tradiert und weiterentwickelt wird“ (Schmücker 2014: 78). Das hieße, den
Einfluss von Kunstkritikern und Kunstästhetikern „auf das Urteil der einschlägig interessierten Öffentlichkeit“
(ebd: 78) auf der einen Seite maßlos zu überschätzen – und auf der anderen
Seite den Einfluss des Urteils der ‚einschlägig
interessierten Öffentlichkeit‘ wie auch der eher desinteressierten oder
anderweitig interessierten Öffentlichkeit (denn sie sind ja an dem Prozess auch
beteiligt und urteilen ebenso) auf das Gemeinverständnis von Kunst maßlos zu
unterschätzen.
5.1.2.4
Mongolei
Kugelstoßen ist
Kunst. Behaupte ich mal frech. Und im kollektiven Verbund behauptet es, wenn nicht
heute, so vielleicht morgen, eine der nächsten Generationen. Oder eine andere
Kultur. Zum Beispiel in der Mongolei. Dort gibt es die jahrhundertealte
Tradition dreier ‚männlicher Disziplinen‘ – dem Ringen, dem Bogenschießen, dem
Pferdereiten. Es sind dies rituelle, ja kultische Handlungen, die die ganze Gemeinschaft
erfassen. Mithin ein Mitspielen erfordern, ganz im Sinne Gadamers (cf. Gadamer 2012:
42). Sieht die mongolische Bevölkerung deshalb im Ringen weniger einen Sport,
sondern eher ein Gadamer’sches Spiel, dem die Aussage ‚Ringen ist Kunst‘ schon sehr
nahe kommt? Vorausgesetzt natürlich, es gibt im Mongolischen überhaupt einem
dem abendländischen Denken vergleichbaren Begriff der Kunst – im Hebräischen sowie
in einigen afrikanischen Sprachen ist dies nicht der Fall (Schmücker 2014:
150). Hier scheint unser altes Problem auf: Wir können generell
weder raus aus unserer sprachlichen Haut noch aus der unserer
Sprachgemeinschaft oder unserer Lebenswelt und Kultur. Schmücker spricht in
diesem Zusammenhang von der „Relativität
jedes intersubjektiven Kunstverständnisses“ (Schmücker 2014: 149): Sie
bezeugt die Perspektivität unserer Sichtweise – wir schauen immer mit unseren
Augen auf die Dinge des anderen. Und glauben darin die Dinge zu erkennen, die
wir kennen.
Was für das
Kugelstoßen gilt, gilt aktuell bereits für das Kochen. Wirft Schmücker der
traditionellen Kunstästhetik vor, sie würde neuere Kunsttendenzen durch ihren
Hang zur begrifflichen Normierung systematisch ausgrenzen, so macht er mit seinem
Hang zur lexikalischen Indizierung nichts anderes: ‚Kochen ist eine Kunst‘ lässt er gelten, die Aussage ‚Kochen ist Kunst‘ nicht. Verweist sie
doch auf ästhetische Kunst, ergo auf ein Artefakt. Wir wissen aber in vielen
Fällen sowohl, „ob ein Artefakt ein
Kunstwerk ist oder nicht“ (Schmücker 2014: 77), als auch, ob etwas Kunst
ist oder nicht. Gibt es doch „historisch
eingespielte intersubjektive Verwendungsweisen44 des Kunstbegriffs
(…), an denen wir uns, wenn wir Sprachkompetenz besitzen, orientieren können, ohne daß wir in der Lage
sein müßten, sie begrifflich zu explizieren“ (ebd: 77). Und
dazu gehört eben auch, dass wir implizit wissen, dass heutzutage ein
Artefakt kein Artefakt mehr sein muss. Sondern durchaus etwas durch und durch
Ephemeres sein kann wie John Cages Musikstück ‚ORGAN²/ASLS‘, das seit 2001 in der Sankt-Burchardi-Kirche in Halberstadt
in einer projektierten Gesamtlänge von 639 Jahren aufgeführt wird. Etwas
Vergängliches wie die Kochkunst eines Arpad Dobriban. Oder etwas fast Ewiges
wie On Kawaras Projekt ‚One Million Years‘.
Auch wenn wir
also derzeit aufgrund der in unserem Kulturraum etablierten Zuordnung (die als
soziokulturelles Phänomen in einem Prozess der unsichtbaren Hand erfolgt,
worauf dann unsere internalisierten Regeln des Gebrauchs von Äußerungstypen
abheben, von denen wir ein implizites, nicht explizierbares Wissen45 besitzen) bei jeder
dieser Tätigkeiten relativ eindeutig sagen können, ob ein Großteil der in einer
bestimmten Gesellschaft sozialisierten Menschen sie als ‚Kunst‘ erachten wird
oder nicht (die Frage, ob etwas ‚Kunst‘ ist oder nicht, bleibt davon völlig
unberührt), so ist doch alles im Wandel. Denn jeder kann jederzeit in einem
singulär differenten Gebrauch eine dieser Tätigkeiten, entgegen des etablierten
Gebrauchs, als ‚Kunst‘ bezeichnen. In diesem speziellen Moment, in dem ich das
tue, setze ich den in Kap. 2.11 ff. beschriebenen Prozess vom singulären
Gebrauch bis hin zur kollektiven Etablierung in Gang (auch wenn er zumeist ins
Leere läuft). Und spätestens dann zeigt sich, dass die von Schmücker
identifizierte eindeutige syntagmatische Zuordnung wenn nicht Makulatur ist, so
doch bestenfalls ein episodales Ereignis beschreibt, das in dem Moment, wo es
Gültigkeit beansprucht, bereits schon wieder ins Wanken gerät.
Was ist Kunst46?
Kochen ist Kunst. Malen auch. Oder Musizieren. Meditieren? Wer weiß, für manche
vielleicht. Kugelstoßen ist Kunst, mechanische Kunst. Zumindest für Schmücker.
Nur dass der Indikator des absoluten Gebrauchs, der ja die ästhetische Kunst
sprachlich identifizieren soll, etwas anderes besagt, als Schmücker es gerne
hören würde. Denn die Aussage ‚Kugelstoßen ist Kunst‘ klingt für uns hartgesottene
Kunstinteressierte, die wir ja in einer Zeit leben, in der Künstler alles zum
Medium ihrer Kunst werden lassen können, ganz und gar nicht mehr befremdlich.
Sondern, da im Bereich des Möglichen liegend, völlig plausibel.
Weil Schmücker sich
in dem, was er ‚ästhetische Kunst‘ nennt, ganz auf Artefakte kapriziert und
Fertigkeiten dem Bereich der mechanischen Kunst zuordnet, normiert er die
Gebrauchsweise des Begriffs ‚Kunst‘. Dies geht mit der Einschränkung des Anwendungsbereichs
einher: Kunst kann nicht Malen sein, nur die Malerei. Denn hier findet der Begriff
‚Kunst‘ auf Artefakte Anwendung. Für die er, en passant in einer Fußnote, einen
weiteren differenzierenden Kunstbegriff einführt: Wenn von Kunstwerken die Rede
ist, ist „von ‚absoluter‘ Kunst die Rede“
(Schmücker 2014: 72). Jedoch sind nur „bestimmte
Artefakte Kunstwerke“ (ebd: 77). Aber „(i)n
vielen Fällen wissen wir spontan (…), ob ein Artefakt ein Kunstwerk ist oder
nicht“ (ebd: 77, auch: 80) – diese Spontanität ist laut Schmücker eben
ein Indiz dafür, dass sich die Verwendungsweisen des Kunstbegriffs historisch „vor dem Horizont eines kultur- und
zeitspezifischen Kunstverständnisses“ (ebd: 80) intersubjektiv eingespielt
haben. Er postuliert, dass „das Wort
‚Kunst‘, sofern es sich auf ästhetische Kunst bezieht, ein Synonym für
‚Kunstwerk(e)‘“ ist (ebd: 76) und
bedeutungsneutral gegen den Begriff ‚Kunstwerk’ ausgetauscht werden kann. In
den Fällen, in denen keine solche Ersetzung möglich ist, „bezieht sich das Wort ‚Kunst‘ nicht auf Artefakte, sondern jeweils auf
eine bestimmte teleologische Handlungskompetenz“ (mechanische Kunst) (ebd: 73).
Nur weil
Schmücker die Anwendung des Begriffs ‚Kunst‘ allein auf die Kunstwerke (und,
wie er ergänzt, als „Sammelbegriff für
mehrere oder die Gesamtheit der Kunstwerke“ [Schmücker 2014: 73]) beschränken
will und alle anderen möglichen Verwendungsweisen ausschließt (cf. Kap. 4.3
ff.), kann ihm eine Überprüfung qua Substitution der Begriffe, Kunstwerk für
Kunst, überhaupt gelingen:
(B1.1)
Kochen ist Kunst.
(Ba) Malen ist Kunst.
(Bb) Musizieren ist Kunst.
(Bc) Meditieren ist Kunst.
(Bd) Kugelstoßen ist Kunst.
(Bd) Kugelstoßen ist Kunst.
(B1.1sub) Kochen ist ein Kunstwerk.
(Basub) Malen
ist ein Kunstwerk.
(Bbsub) Musizieren ist ein Kunstwerk.
(Bcsub) Meditieren ist ein Kunstwerk.
(Bdsub) Kugelstoßen ist ein Kunstwerk.
(Bbsub) Musizieren ist ein Kunstwerk.
(Bcsub) Meditieren ist ein Kunstwerk.
(Bdsub) Kugelstoßen ist ein Kunstwerk.
Wenn ich zuvor
definiere, dass nur Kunstwerke Kunst sein können, kann ich natürlich von einer
lexikalischen Ersetzungsprobe nichts anderes erwarten, als dass genau das
herauskommt, was ich hineingesteckt habe: Fertigkeiten sind keine Artefakte,
können demnach auch keine Kunstwerke sein, bei denen für Schmücker allein der
Begriff ‚Kunst‘ Anwendung finden kann. Ergo sind Fertigkeiten nicht Kunst.
37 Die
Variationen etablierter Gebrauchsweisen des Begriffs ‚Kunst‘ als heute noch
gebräuchliche Reflexe alter Gebrauchsweisen (cf. Kap. 3.1 ff.) treten
sprachlich zumeist als Präfix ‚Kunst-‘ oder Suffix ‚-kunst‘ auf. Sie lassen
sich im Wesentlichen so zusammenfassen:
1. Kunst
im Sinne einer Fertigkeit: Kochkunst, Schwarze Kunst, Lebenskunst
2. Kunst
im Sinne eines Handwerks: Kunsthandwerk, Kunstgewerbe
3. Kunst
im Sinne einer Wissenschaft (die Sieben Freien Künste): Redekunst, Sprachkunst,
Beweiskunst
4. Kunst
als dichotomer Gegenbegriff zur Natur: Kunststoff, Kunstfaser
38 Karlheinz Lüdeking entwickelt,
offensichtlich ohne die sozialphilosophische Historie seines Gedankens zu Kenntnis
zu nehmen, ein ganz ähnliches kunsttheoretisches Konzept, ohne es jedoch mit
einer stringent explikativen Theorie à la Grice und Keller zu untermauern und es
konsequent weiter zu denken und zu verfolgen:
„Demnach ist klar, daß die Mitgliedschaft in der Klasse der Kunstwerke sich keineswegs nur einer einfachen empirischen Klassifikation verdanken kann. Die Klasse der Kunstwerke muß vielmehr verstanden werden als ein unbeabsichtigtes und unvorhersehbares Ereignis all der mannigfaltigen und konkurrierenden evaluativen Verwendungen des Kunstbegriffs durch unzählige individuelle Sprecher, die diesen Begriff aufgrund der verschiedenen normativen Kriterien verwenden. Die Zusammensetzung der Klasse der Kunstwerke ergibt sich als ein unkontrollierbares Resultat sozusagen ‚hinter dem Rücken‘ der einzelnen Sprecher, die den Kunstbegriff nach den jeweils von ihnen favorisierten Kriterien verwenden und entsprechende Grenzziehungen vornehmen. Obwohl sich so am Ende die Klasse der Dinge, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als Kunstwerke gelten, als ein Faktum von intersubjektiver Gültigkeit ergibt, ist diese Klasse doch nur das Resultat der Vielzahl von unkoordinierten Verwendungen des Kunstbegriffs durch zahllose individuelle Sprecher. Eben deshalb ist die Klasse der Kunstwerke auch ständig, den unvorhersehbaren Schwankungen unterworfen, die jeden Versuch einer generalisierten Aussage über ihre Mitglieder vereiteln“ (Lüdeking 1998: 203).
„Demnach ist klar, daß die Mitgliedschaft in der Klasse der Kunstwerke sich keineswegs nur einer einfachen empirischen Klassifikation verdanken kann. Die Klasse der Kunstwerke muß vielmehr verstanden werden als ein unbeabsichtigtes und unvorhersehbares Ereignis all der mannigfaltigen und konkurrierenden evaluativen Verwendungen des Kunstbegriffs durch unzählige individuelle Sprecher, die diesen Begriff aufgrund der verschiedenen normativen Kriterien verwenden. Die Zusammensetzung der Klasse der Kunstwerke ergibt sich als ein unkontrollierbares Resultat sozusagen ‚hinter dem Rücken‘ der einzelnen Sprecher, die den Kunstbegriff nach den jeweils von ihnen favorisierten Kriterien verwenden und entsprechende Grenzziehungen vornehmen. Obwohl sich so am Ende die Klasse der Dinge, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als Kunstwerke gelten, als ein Faktum von intersubjektiver Gültigkeit ergibt, ist diese Klasse doch nur das Resultat der Vielzahl von unkoordinierten Verwendungen des Kunstbegriffs durch zahllose individuelle Sprecher. Eben deshalb ist die Klasse der Kunstwerke auch ständig, den unvorhersehbaren Schwankungen unterworfen, die jeden Versuch einer generalisierten Aussage über ihre Mitglieder vereiteln“ (Lüdeking 1998: 203).
Schmücker merkt dabei zu Recht an: „Unklar bleibt dabei jedoch, wie dies
geschieht“ (Schmücker 2014: 106). Ein Problem, das auch Lüdeking sieht. Und
das er zum Gegenstand seiner Untersuchung macht: „(D)ie Frage, wie es zu verstehen (und zu begründen) ist, daß wir
bestimmte Dinge als Kunstwerke bezeichnen und ihnen ästhetische Qualitäten
zuschreiben“ (Lüdeking 1998: 12). Eine Frage, so stellt er am Ende dieser
Untersuchungen ernüchtert fest, die weder die analytische Philosophie der Kunst
noch die traditionelle Theorie beantworten kann (Lüdeking 1998: 205). Dabei war
Lüdeking der Antwort, siehe oben, so nahe. Er hätte nur den Weg, den er
eingeschlagen hat, konsequent weiter gehen müssen – Hand in Hand mit der
unsichtbaren Hand (cf. Keller 2014 passim).
39 In Pierer's
Universal-Lexikon, Bd. 15., von 1862 werden unter die schönen Künsten alle
Künste subsumiert, „deren Producte einen
selbständigen ästhetischen Werth haben, deren treu Aufgabe also die Darstellung
des Schönen in den Formen u. innerhalb der Grenzen eines ästhetischen Ganzen
ist.“ Dazu gehören die akustischen, plastischen (darunter fallen hier
sowohl die bildenden Künste als auch die Architektur) und die redenden Künste
(Dichtkunst und die „Beredtsamkeit“,
also die Kunst der Rede, die Rhetorik). Weiter wird differenziert in „einfache u. zusammengesetzte“ Kunst
(Musik ist demnach eine zusammengesetzte Kunst, verbindet sie sich doch mit der
„lyrischen u. der dramatischen Poesie“),
in „eine abhängige, untergeordnete Kunst“
(wie die „Geberdenkunst“, die
Schauspiel- oder Tanzkunst – es sei denn, diese können „einen selbständigen Werth in Anspruch nehmen“) und die „verschönernde (decorative)“ Kunst, die
den Dingen eine „ästhetisch wohlgefällige
Zierde zu verleihen“ haben – „unter
diesem Gesichtspunkt mag man auch die schöne Fechtkunst u. die schöne Reitkunst
mit unter die Schönen Künste rechnen, während die schöne Gartenkunst unter
Umständen der idealen Landschaftsmalerei sich nähern kann“ (Pierer 1862:
382). Man sieht: So wie jede Zeit ihre eigenen unzähligen Gebrauchsweisen des
Begriffs ‚Kunst‘ hat, so hat sie auch ihre eigenen autoritativen
Sprachfestsetzungen und Kategorisierungen. Zur Unterscheidung von ‚schöner
Kunst‘ und ‚mechanischer Kunst‘ siehe auch Gadamer 2012: 20 ff.
40 Hier zeigt sich eines
der Kernprobleme bei Schmücker: Er differenziert nicht die verschiedenen
Gebrauchsweisen des Begriffs ‚Kunst‘ (cf. die umfangreiche Differenzierung der
Gebrauchsweisen vor allem in Kap. 4.3 ff.), stattdessen postuliert er für seine
Zwecke
1.
drei resp. zwei konventionelle lexikalische
Grundbedeutungen des Begriffs ‚Kunst‘ im heutigen Sprachgebrauch. Von ihnen
geht er aus. Und sucht sie letztlich auf eine,
die ‚ästhetische Kunst‘ zu reduzieren (die er später sogar noch auf das
Artefakt, ‚das Kunstwerk‘ als Kunst, zu reduzieren sucht). Dabei spricht er hier
en passant von einer vierten und fünften Gebrauchsweise des Begriffs (resp. Bedeutung),
die er aber nicht als solche systematisch explizit ausweist. Stattdessen raunt
er von einer ominösen „artefaktbezeichnenden“
und „handlungskompetenzbezeichnenden Kraft“
des Wortes ‚Kunst‘.
2.
Die drei von ihm postulierten Grundbedeutungen
bewegen sich zunächst allesamt auf der Makroebene sozialer Institutionen, die
nicht intentionale kollektive Resultate individueller intentionaler Akte sind
(da sind sich alle soziokulturellen Phänomene strukturell ähnlich), die vierte
ist jedoch ist eine Gebrauchsweise des Begriffs ‚Kunst‘ auf der Mikroebene des
individuellen Kunstschaffens, das wiederum dem Bereich singulärer intentionaler
Akte zugehört. Die fünfte bezeichnet eine handwerkliche Fertigkeit (Kunst des
Malens vs. das Malen als Fertigkeit).
3.
Schmücker differenziert diesen kollektiv
resultierenden (und im Zweifelsfall temporären) Bestand von (ästhetischer) Kunst (als sozialer Institution) weder von
der Beschreibung von etwas als Kunst noch
von dem davon logisch unabhängigen Akt der Zuschreibung
eines Artefaktes als Kunst.
Er tut alles, um den Gebrauch des Begriffs
‚Kunst‘ in eine einzige Gebrauchsweise münden zu lassen, von der er als Gegenstand
seiner Untersuchungen bereits ausgeht: ‚Kunst‘ als ‚ästhetische Kunst‘. Eine
zirkuläre Vorgehensweise.
41 Die Konsequenzen dieses
Phänomens des steten Wandels sieht Schmücker:
„Um Anwendungsbedingungen für den Kunstbegriff vorzuschreiben, kommt die Kunstästhetik daher immer schon zu spät. Wenn sie die bunte Vielfalt der Kunsterscheinungen in graue Theorie einzuholen sucht, haben sich die Erscheinungsformen der Kunst längst potenziert. Wo sich die Kunstästhetik darauf verlegt, der Verwendung des Kunstbegriffs aus eigenem Recht Grenzen zu setzen, missachtet sie deshalb sträflich ihre eigene Grenze“ (Schmücker 2014: 78). Dem kann ich nur zustimmen. Und mich fragen, warum sich Schmücker dann aber selber Grenzen setzt und sträflich seine Grenze missachtet, indem er unbedingt starre lexikalische Indikatoren etablieren will, die verbindlich und eindeutig anzeigen, wann von Kunst die Rede ist und wann nicht. Wenn aber alles stets im Fluss ist (und jeglicher Versuch einer wie auch immer gearteten normativen Festsetzung ‚daher immer schon zu spät‘ kommen muss), ist es auch die lexikalisch indizierte Zuschreibung – bei Künsten auf dem Weg zur ästhetischen Kunst wird sich im Moment des Wandels der Auffassung das Sprachgefühl melden und der von Schmücker gewünschten eindeutigen Indikation den Garaus machen.
„Um Anwendungsbedingungen für den Kunstbegriff vorzuschreiben, kommt die Kunstästhetik daher immer schon zu spät. Wenn sie die bunte Vielfalt der Kunsterscheinungen in graue Theorie einzuholen sucht, haben sich die Erscheinungsformen der Kunst längst potenziert. Wo sich die Kunstästhetik darauf verlegt, der Verwendung des Kunstbegriffs aus eigenem Recht Grenzen zu setzen, missachtet sie deshalb sträflich ihre eigene Grenze“ (Schmücker 2014: 78). Dem kann ich nur zustimmen. Und mich fragen, warum sich Schmücker dann aber selber Grenzen setzt und sträflich seine Grenze missachtet, indem er unbedingt starre lexikalische Indikatoren etablieren will, die verbindlich und eindeutig anzeigen, wann von Kunst die Rede ist und wann nicht. Wenn aber alles stets im Fluss ist (und jeglicher Versuch einer wie auch immer gearteten normativen Festsetzung ‚daher immer schon zu spät‘ kommen muss), ist es auch die lexikalisch indizierte Zuschreibung – bei Künsten auf dem Weg zur ästhetischen Kunst wird sich im Moment des Wandels der Auffassung das Sprachgefühl melden und der von Schmücker gewünschten eindeutigen Indikation den Garaus machen.
43 Was wohl Schmücker zu
diesem Satz sagen würde: ‚Beim Kochen
handelt es sich nicht um eine Kunst wie das Theater.‘? Der Begriff ‚eine
Kunst‘ verweist als indefiniter Gebrauch auf die mechanische Kunst. Durch die
Negation ‚handelt sich nicht‘ wird die Angemessenheit dieser impliziten Aussage
jedoch bestritten. Was aber nach Schmücker falsch wäre, denn laut seiner
Interpretation handelt es sich beim ‚Kochen‘ um mechanische Kunst. Nur: Ganz
offensichtlich wird mit diesem Satz aber nicht
auf das referiert, was er mechanische Kunst nennt – es wird auf ästhetische
Kunst referiert. Was seine Theorie der eindeutigen lexikalischen Indizierung
falsifizieren würde. Damit dies nicht passiert, wird er behaupten müssen: Der
Satz ist nicht korrekt – er muss zwingend lauten: ‚Beim Kochen handelt es sich nicht um Kunst wie das Theater‘.
44 In diesem Gedanke
klingt durchaus etwas von der Art und Weise an, wie im Prozess der unsichtbaren
Hand soziokulturelle Phänomene konstituiert werden. Nur reflektiert Schmücker
diesen Gedanken nicht weiter, so dass ihm die grundlegende explikatorische
Dimension dieses Ansatzes entgeht. Und damit der eigentliche Charakter des
evaluativen Kunstbegriffs als etabliertes kollektives Resultat individueller intentionaler
Zuschreibungen (Schmücker 2014: 116). Völlig zutreffend ist seine Einsicht,
dass jeder Kunstbegriff, den sprachkompetente Sprecher einer natürlichen
Sprache nutzen, auf Basis des „lebensweltlichen
Hintergrundwissens“ und damit, bezogen auf andere Kulturen, notwendig
perspektivisch, also „nicht horizontindifferent“
verwendet wird (Schmücker 2014: 118; cf. auch Kap. 2.7). Wenn ich einen
Kunstbegriff als deskriptiv oder evaluativ identifiziere, so greife ich laut
Schmücker auf dieses gemeinsame Hintergrundwissen zurück, das er „das intersubjektive Kunstverständnis dieser
Sprachgemeinschaft“ (Schmücker 2014: 118) nennt. Nur behauptet er lediglich
, dass es dieses Kunstverständnis,
diese Gebrauchsweise des Begriffs und das gemeinsame Hintergrundwissen gibt, er
erklärt aber nicht systematisch, wie
es dazu kommen kann (cf. Kap. 2 ff.). So sieht er zwar das „intentionalistische Missverständnis“ (Schmücker 2014: 116) der
sprachanalytischen Kunstästhetik, erkennt aber nicht seinen wahren Grund: der
liegt eben im Mangel an explikativer Kraft (dieses Defizit wird durch die
Arbeiten von H.P.Grice und Rudi Keller aufgearbeitet [cf. Kap. 2 ff.]).
45 „Wir gebrauchen eine Regel, ohne sie explizieren zu können“
(Kennick 1958: 322; cf. Keller 2018b). Wenn wir von sprachlichen Regeln sprechen, dürfen wir nicht der
naheliegenden Versuchung erliegen, sie wie mathematische Regeln zu betrachten – da schlägt uns die Sprache mal wieder ein
Schnippchen. Mathematische Regeln gelten, vorausgesetzt, sie erweisen sie nicht
als falsch, nach menschlichem Ermessen generell und bis in alle Ewigkeit.
Sprachliche Regeln hingegen konstituieren und wandeln sich in einem Prozess der
unsichtbaren Hand – selbst wenn diese Regeln über Jahrhunderte oder
Jahrtausende Bestand haben sollten: sie sind prinzipiell fluid und damit von
temporärer Gültigkeit. Mathematische Regeln lerne ich und wende sie an.
Sprachliche Regeln meiner Muttersprache erlerne ich im individuellen Gebrauch.
Genauer gesagt: Im Sprachvollzug, dem intersubjektiv vermittelten Gebrauch,
werden die sprachlichen Regeln immer wieder neu konstituiert. Sie bestehen
nicht als eine obskure Eigenschaft außerhalb des Gebrauchs, sondern sind immer
nur im Gebrauch.
46 Zu jedem beliebigen
Zeitpunkt, an dem die Frage gestellt wird, findet der Gebrauch des Begriffs
‚Kunst‘ auf Basis der aktual etablierten Gebrauchsweise in einer bestimmten
Gruppe (wie groß sie auch immer sein mag) in einer bestimmten Gesellschaft und
Kultur statt. Mit der Gebrauchsweise (ergo den Regeln des Gebrauchs, mithin der
Bedeutung) geht das Verständnis des Begriffs einher. Man stellt diese
Grundsatzfrage also grundsätzlich aus der Perspektive eines bestimmten
episodalen Ereignisses, ja sogar grundsätzlich aus der Perspektive einer individuellen
Interpretation dieses episodalen Ereignisses, die niemals völlig mit der
‚etablierten‘ Sicht übereinstimmt. Ein Umstand, um den man vielleicht weiß, den
man aber gerne, bewusst oder unbewusst, gezielt oder nicht, außer acht lässt. Gebrauchsweise,
Bedeutung und Verständnis der Begriffe, auch des Begriffs der ‚Kunst‘, wandeln
sich stets und ständig. Zu jedem Zeitpunkt im Kontinuum ist die Gebrauchsweise
also eine etwas andere (auch wenn uns das nicht bewusst ist und wird). Deshalb
stellen wir die Frage ‚Was ist Kunst?‘,
auch wenn wir dabei stets das gleiche Wort ‚Kunst‘ verwenden, immer von einer
leicht veränderten Warte einer etablierten Gebrauchsweise aus, von der wiederum
meine individuelle Interpretation, wenn vielleicht auch nur minimal, abweicht. Doch
wonach fragen wir mit dieser Frage? Wir imaginieren eine allgemein gegebene,
sowohl generationen- als auch gesellschafts- und kulturübergreifende Form
‚künstlerischen‘ Schaffens, die wir mit dem Begriff ‚Kunst‘ bezeichnen. Und fragen
von der Warte eines fluiden Gebrauchs und Verständnisses aus nach etwas, was
allen Kunstwerken, unabhängig vom jeweiligen Verständnis, von Zeitalter,
Kultur, Gesellschaft oder medialer Form der Umsetzung vermeintlich innewohnt: ihrer
essentia. Aus dieser
philosophiehistorischen Verstrickung will sich Schmücker herauswinden und
spricht statt von der essentia nur
von der essentialistischen Prämisse, „daß
von Kunst als solcher sinnvoll die Rede sein kann“ (Schmücker 2014:
81). Die Rede von der ‚Kunst als solcher‘ unterstellt damit ein obskures „philosophisches Wesen der Kunst“ (ebd:
81), das „den semantischen Gehalt des
Kunstbegriffs erfragt“ (Schmücker 2014: 163) und die Theorie der
Kunstästhetik als eine „Theorie über die
Bedeutung des Kunstbegriffs“ (ebd: 163) definiert. Von dem wir, so
Schmücker, intuitive Kenntnis haben, weil wir durch „das intersubjektive Kunstverständnis“ (Schmücker 2014: 118)
glauben, ‚Kunst‘ als Kunst erkennen zu
können – es ist uns Maßstab der Evaluation. Der Kunstästhet muss nun mit der
Beantwortung der Frage, „(w)arum ist das,
was Kunst ist, Kunst?“ (Schmücker 2014: 80) entbergen, was verborgen ist,
explizieren, was wir implizit wissen.
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