Rückprojektion,
Perlokution, Intention
1.
Als ein vom Arbeitsziel gebotenes
Erfordernis werden bisweilen Begriffe, Äußerungen oder Texte rein als Begriffe,
Äußerungen oder Texte betrachtet. Ohne internen oder gar externen kontextuellen
Bezug, ganz unter lexikalischen, phonetischen, grammatikalisch-syntaktischen, semantischen,
zeichentheoretischen oder anderen spezifischen Gesichtspunkten. Solange wir diese
segmentierte Sichtweise nicht für bare Münze nehmen, sondern uns immer dessen
bewusst sind, wie sich Sprache de facto ereignet, ist dagegen nichts
einzuwenden, schließlich sprechen die Erkenntnisse der Einzeldisziplinen der letzten
200 Jahre eine mehr als beredte Sprache. Die Seinsweise der langue ist die parole. Die Sprache ist, so formulierte es Wilhelm von Humboldt prägnant, „in ihrem Wesen
aufgefasst, (…) etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes (…).
Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Tätigkeit (Energeia)“ (Humboldt
2008: 324). Darum liegt auch „die eigentliche Sprache in dem Acte ihres
wirklichen Hervorbringens“ (ebd.: 325): Sprache ist Sprache im Moment des
Gebrauchs, der sich im Rahmen eines strukturell dialogischen Konstrukts ereignet. Sie existiert nicht an einem geheimen Ort
außerhalb der Menschen oder Menschheit, sondern nur in und durch uns: den Sprechern der natürlichen Sprachen.
Das heißt, sie ist nur in dem Moment Sprache, wo sie von jemandem gesprochen oder
geschrieben und von jemandem gehört,
gelesen, rezipiert oder interpretiert wird. Ist dies nicht der Fall, ist sie ein
theoretisches Konstrukt, bestenfalls ein ungehörtes Geräusch oder ungesehenes
Geklecks. Aber auch nicht mehr.
Der
faktisch gegebene Sprachgebrauch vollzieht sich nicht im luftleeren Raum. Es handelt
sich stets um einen Akt, der im situativen Kontext geäußert wird. Ein Akt, der nicht
aus der Zeit gestanzt ist, sondern bei dem es ein Vorher und ein Nachher sowie strukturell
stets Sprecher und Autoren sowie Angesprochene, Leser, Interpreten und
Rezipienten gibt (auch wenn ich mit mir rede, rede ich strukturell mit jemandem). Ob nun alltagssprachlicher
oder fachsprachlicher Sprachgebrauch: Solange ein Sprecher im Vollbesitz seiner
geistigen Kräfte ist, äußert er sich stets mit Anlass und der Absicht, den
Angesprochenen zu etwas zu bewegen (im weitesten Sinne dieses Ausdrucks).
Dieses ‚zu etwas zu bewegen‘ ist das
vorrangige Ziel jedes kommunikativen Aktes. Gemeinhin könnte man nun annehmen,
dass es sich bei diesem Ziel um die Verständigung handelt. Dem ist aber nicht
so. Entgegen unseres landläufigen Verständnisses von Kommunikation ist Verständigung gerade
„nicht ‚der Zweck‘ der Sprache“ –
„allenfalls einer unter vielen“ (Keller 2014: 135, Hervorhebung S.O.). Die Ziele, die
wir in der Kommunikation verfolgen, sind oftmals ganz andere: Ich will jemanden
überreden, belügen, täuschen, einschüchtern, von mir begeistern, ihn mir
gewogen machen. Will, dass er seine Meinung ändert. Dass er mich für hochgradig
intelligent oder ungeheuer attraktiv hält. Dass er mir das gibt, was ich haben
will u.v.a.m. Dabei ist es natürlich so hilfreich wie zielführend, dass es zwischen
dem Sprecher
resp. Autor sowie dem Angesprochenen, Leser, Interpreten und Rezipienten hinsichtlich
der konventionellen Bedeutung des
Gesagten eine verständnissichernde Schnittmenge besteht,
dass also nicht nur der Sprecher resp. Autor, sondern auch der Interpret um den
aktuell in einer Sprachgemeinschaft allgemein akzeptierten Gebrauch der Worte ‚weiß‘[1]. Mit anderen
Worten: dass er das Gesagte in diesem
Sinne des Gebrauchs des Wortes verstehen
versteht. Angenommen, mein Gesprächspartner gehört zur Volksgruppe der Tuwiner,
die vornehmlich in Südsibirien und der Westmongolei beheimatet sind. Leider spricht
er sowenig Deutsch wie ich Tuwinisch spreche. Spreche ich ihn trotzdem auf
Deutsch an, so wird meine Absicht, ihn im Gespräch zu belügen, aus
naheliegenden Gründen kläglich scheitern (Verstehen der konventionellen
Bedeutung: verstehenB).
Ein anderer
Gebrauch des Wortes verstehen
begegnet uns im Kontext des handlungstheoretischen Grundmodells, das der
britische Sprachphilosoph Herbert Paul Grice für den Fall des Meinens (und
damit des Verstehen des Gemeinten: verstehenM)
entwickelt
hat[2]:
i. Ich intendiere, dass du erkennst, dass ich
mit meiner Äußerung a beabsichtige.
ii. Ich intendiere, dass du meine Intention (i.)
erkennst.
iii. Ich
intendiere, dass du erkennst, was ich mit meiner Äußerung a beabsichtige, indem
du meine Intention (ii.) erkennst.
Da es sich hier nicht um Fälle konventioneller Bedeutung
des Gesagten handelt, die der Angesprochene allein durch den Rekurs auf die verständnissichernde
Schnittmenge
verstehenB kann, muss dieser
eine reflexive, das heißt interpretative Leistung erbringen, um den Gehalt der kommunikativen
Intention (Sprecher-Intention), also das mit der Äußerung Gemeinte, die
intendierte Wirkung (Sprecher-Bedeutung) verstehenM
zu können. verstehenM
heißt demnach: „alle [offenen] Intentionen des Sprechers erkennen“ (Keller
2014: 133). nicht verstehenM
bedeutet, „nicht alle offenen Intentionen erkennen“ (ebd.: 133). Und missverstehenM, dass „dem
Sprecher Intentionen unterstellt (werden), die dieser nicht gehabt hat“ (ebd.:
133). Nun ist es aber so, dass wir durchaus nicht alle „Intentionen, die wir
beim Kommunizieren verfolgen, (auch) kommunizieren“ (ebd.: 134). Ja, manchmal
beabsichtigen wir sogar geradezu, dass unsere Absicht, „auf die es beim Vollzug
einer Äußerung besonders ankommt“ (ebd.: 135), gerade nicht erkannt resp.
verstanden wird. So wie bei meinem tuwinischen Gesprächspartner. Ihn im Rahmen
eines gewöhnlichen Sprechakts zu belügen kann mir nicht gelingen, weil er
gewissermaßen die Bedingung der Möglichkeit, ihn belügen zu können, nicht
erfüllt: Bei ihm liegt kein verstehenB
vor. Ist dies nicht der Fall, kann es weder ein verstehenM noch ein missverstehenM oder ein nicht verstehenM geben. Zumindest
letzteres wäre aber erforderlich, um in einem Sprechakt erfolgreich belogen
werden zu können.
2.
Kehren wir zurück zum Anfang, zum „Gebrauch
der Sprache“ (Austin 1979: 126). Ausgehend von Ludwig Wittgensteins gemeinhin
‚Gebrauchstheorie der Bedeutung‘ genannten Überlegungen war es der
britische Sprachphilosoph John L. Austin, der sich in seinen 1955 als William
James Lectures an der Harvard Universität gehaltenen Vorlesungen, 1962 auf
Englisch unter dem Titel ‚How to do things with Words‘ (dt. Zur Theorie der Sprechakte) erschienen, erstmals
systematisch dem Gebrauch der Worten statt ihrer Bedeutung widmete – dabei
Wittgensteins Hinweis folgend: „Worte sind auch Taten“ (Wittgenstein 1977: 231,
PU §546). Wenn wir etwas äußern, dann gibt es, so Austin in der 9. Vorlesung
„eine Reihe von Dingen (…), die man mit einer Äußerung tut“ (Austin 1979: 126, Hervorhebung S.O.). Das erste, was wir
tun, wenn wir etwas sagen, ist das, was Austin einen „lokutionären Akt“ (ebd.: 126) nennt. Dieser läuft „darauf hinaus, daß man einen Satz äußert und damit
etwas Bestimmtes über etwas Bestimmtes sagt“ (ebd.: 126, Hervorhebung S.O.) –
„das heißt ungefähr, daß die Äußerung im traditionellen Sinne ‚Bedeutung‘ hat“ (ebd.:
126, hier geht es um das Verstehen der [konventionellen] Bedeutung des Gesagten[3]:
verstehenB). Austin differenziert
nun diesen „lokutionären Akt des Sagens (…) weiter in den phonetischen Akt (er besteht im Äußern gewisser Laute), den phatischen Akt (er besteht im Äußern von
Wörtern in einer grammatischen Konstruktion) und (…) den rhetischen Akt (man nimmt auf einen Gegenstand oder Sachverhalt
Bezug und sagt etwas über ihn aus)“ (Liedtke 2016: 52).
Äußere ich den
Satz ‚Der Wandel findet statt‘ (ebd.: 52), so vollziehe ich den lokutionären
Akt des Sagens. Nun ist aber
A.
der Akt „daß
man etwas sagt“ (ebd.: 117, Hervorhebung S.O.)
B. von dem „Akt,
den man vollzieht, indem man etwas
sagt“ (Austin 1979: 117, Hervorhebung S.O.),
zu unterscheiden. Indem wir A., den lokutionären Akt des
Sagens, vollziehen, vollziehen wir B., den illokutionären Akt. Die Lehre der „performance
of an act in saying something as
opposed to performance of an act of
saying something“ (Austin 1962: 99) nennt Austin „die Theorie der verschiedenen
Funktionen, die die Sprache unter diesem Aspekt haben kann“ (Austin 1979: 117):
„the doctrine of ‚illocutionary forces‘“ (Austin 1962: 99, in der von dem
deutschen Philosophen Eike von Savigny bearbeiteten deutschen Fassung wird
‚force‘ nicht mit ‚Kraft‘, sondern mit ‚Rolle‘ übersetzt). Wir vollziehen diese
illokutionären Akte, indem „wir Äußerungen tun, die eine bestimmte
(konventionale) Rolle spielen“ (ebd.: 117). Eine solche Äußerung ist „auf
dreierlei Art mit Wirkungen verknüpft: das Verständnis sichern, wirksam sein
und zu einer Antwort auffordern“ (ebd.: 134). Oder wie Austin an anderer Stelle
sagt: Sie „muß verstanden werden, sie hat Ergebnisse und sie fordert zu
Reaktionen auf“ (ebd.: 137). Werden diese Wirkungen nicht erzielt, „glückt der
illokutionäre Akt nicht, wird er nicht erfolgreich vollzogen“ (ebd.: 133). Für
die illokutionären Akt „gilt ausnahmslos,
daß man sich für sie konventionaler Mittel bedienen muß“ (ebd.: 136, Hervorhebungen S.O.). Bei der dritten „Dimension
des Gebrauchs“ (ebd.: 126) bedient man sich hingegen nicht-konventionaler
Mittel. Es handelt sich dabei um „perlokutionäre
Akte“ (ebd.: 126). Sie bringen wir
C. „dadurch zustande, daß wir etwas sagen“ (ebd.: 126)
Es sollen mit der
Äußerung „gewisse Wirkungen erzielt
werden“ (ebd.: 137, auch Searle 1983: 42). „Zum Beispiel kann ich jemanden
durch Argumentieren überreden oder überzeugen, durch Warnen erschrecken oder alarmieren, durch Auffordern dazu
bringen, etwas zu tun (…). Die in der Aufzählung kursiv gedruckten
Ausdrücke bezeichnen perlokutionäre Akte“ (Searle 1983: 42, auch Austin 1979:
126). Die Wirkungen illokutionärer Akte
werden – nach Austin – stets konventional
erzielt, indem ich etwas sage: Ich
bin befugt, Befehle zu erteilen. Wenn ich also befehle, hat der andere zu
gehorchen – das Wissen um die Wirkung eines Befehls ist in der konventionellen
Struktur des Befehls angelegt. Es mögen darüber hinaus noch bestimmte
Intentionen seitens des Befehlenden vorliegen. Die aber spielen beim Vollzug
des Befehls und bei dessen Verstehen keine Rolle. Wirkungen perlokutionärer Akte hingegen werden laut
Austin nicht-konventional[4] erzielt.
Und zwar dadurch, dass ich etwas sage:
Ich erreiche durch Drohung „oder auch (…) durch außersprachliche Mittel“ (Austin 1979: 135), dass der andere mir
gehorcht.
Nun bestehen die
Sprachhandlungen („actions“, Austin 1962: 117), in der deutschen Übersetzung im
Singular als der „perlokutionäre
Akt“[5] notiert,
in zwei verschiedenen Formen:
1.
„ein perlokutionäres Ziel erreich(en) (überzeugen, überreden)“ (Austin 1979: 134,
Hervorhebung S.O., [„perlocutionary object“, Austin 1962: 117])
2.
„ein perlokutionäres Nachspiel erzeug(en)“ (Austin 1979: 134, Hervorhebung S.O.,
[„perlocutionary sequel“, Austin 1962: 117])
Sage
ich etwas, so vollziehe ich in diesem Moment nicht nur eine Lokution sowie eine
Illokution, sondern ich erziele dadurch,
dass ich diese Äußerung mache, in der
Regel bei dem anderen auch bestimmte wichtige Wirkungen[6]
– bisweilen
sogar „mit dem Plan, in der Absicht, zu dem Zweck“ (Austin 1979: 118), sie zu bewirken: „Saying
something will often, or even normally, produce certain consequential effects
upon the feelings, thoughts, or actions of the audience, or of the speaker, or
of other persons: and it may be done with the design, intention, or purpose of
producing them“ (Austin 1962: 101). Bei diesen ‚consequential effects‘ handelt
es um die ‚perlocutionary sequel‘, das perlokutionäre
Nachspiel. Werden nun diese ‚effects‘, geplant oder ungeplant, intendiert oder
nicht intendiert, bezweckt oder nicht, dadurch
erzielt, dass man die Äußerung macht, „(w)e shall call the performance of an act of
this kind the performance of a perlocutionary act or perlocution“ (ebd.: 101).
Im Rahmen eines Diskurses
kann zum Beispiel A intendieren, B durch eine brillante Argumentation von
seiner Auffassung a zu überzeugen und darüber hinaus intendieren, ihn für sich
einzunehmen. Nun kann es durchaus passieren, dass A mit diesem Sprechakt, einer
Perlokution, sein intendiertes perlokutionäres Ziel verfehlt (B von a zu
überzeugen), aber sein intendiertes perlokutionäres Nachspiel (B für sich
einzunehmen) gelingt. Formal lässt sich der perlokutionäre Akt (im Rahmen einer
Illokution und Lokution) also in etwa so ausdrücken:
A tut etwas, indem er B etwas sagt und intendiert, bei B dadurch eine ganz bestimmte Wirkung zu
erzielen.
Mit der Perlokution kann A demnach
„the design, intention, or purpose“ (Austin 1962: 101) verfolgen, ganz allgemein ausgedrückt, B zu etwas zu bewegen[7]. Also nicht nur, ihn zu überzeugen (perlokutionäres Ziel
[„perlocutionary object“]), sondern auch ihn zu einer wie auch immer gearteten
Reaktion zu bewegen (perlokutionäres Nachspiel [„perlocutionary sequel“]).
Wobei für letzteres ja gilt: „it may be done with the design, intention, or purpose of producing
them“ (Austin 1962: 101, Hervorhebung S.O.). Mit anderen Worten: Das
‚Nachspiel‘ der Perlokution kann ein ‚intendiertes‘, aber auch ein
‚nicht-intendiertes Nachspiel‘ sein.
3.
1969 veröffentlichte der britische
Historiker und Politikwissenschaftler, Quentin Skinner, einen Aufsatz, in dem
er die Angemessenheit der hermeneutischen Verfahrensweisen der etablierten
Geschichtswissenschaft grundsätzlich in Frage stellte: ‚Meaning and Understanding in the History of Ideas‘. Darin verwies er gleich
vier „gängige Prämissen der Ideengeschichte (…) ins Reich der
Mythologien“ (Gallus 2019: o.S.):
• „Die ‚mythology of doctrines‘ projiziere Lehren der Gegenwart in die
Geschichte zurück und erzeuge Anachronismen. Noch
schlimmer ist es, wenn der
Historiker gleich von zeitlosen Fragen und Werten ausgeht (‚perennialism‘)“.
• Die „mythology of coherence“
verführe dazu, „aus verstreuten Bemerkungen politischer Denker eine logisch
geschlossene Theorie zu formen, mithin einen ebenso widersprüchlichen wie
wandlungsreichen Denkprozess in ein Schema zu pressen“.
• Zwei weitere Denkfehler, die
„mythology of prolepsis“ und die der „parochialism“, zielen „auf die
Konstruktion von historischer Kontinuität (…). Statt sich auf die Eigenlogik
geschichtlicher Ideenwelten einzulassen, würden mit leichter Feder Vorwegnahmen
von Späterem (…) schraffiert“ (alle Zitate: Gallus 2019: o.S.).
Wer als Geschichtswissenschaftler (und wer wollte Kunsthistoriker
aus dieser Gruppe ausschließen?) Aussagen und
Wortbedeutungen historischer Texte angemessen zu verstehen sucht, wer nicht in
die Falle der Rückprojektion heutiger Denkmuster und Begriffe in die
Vergangenheit tappen will, hatte nach Skinners Auffassung diese Denkfehler zu vermeiden,
um den Anspruch seriöser wissenschaftlicher Hermeneutik erheben zu können. Aber
auch wenn es, so Skinner, grundsätzlich niemals die gültige Interpretation eines Textes, also die verifizierte
Feststellung der „vom Autor intendierte(n) Bedeutung eines Textes“ (Skinner
2009a: 7) geben kann, so muss doch „das hermeneutische Ziel der
Bedeutungsexplikation, hier verstanden als Feststellung der auktorialen
Intention“ (ebd.: 8), weiterhin als „Kern der hermeneutischen Aufgabe“ (ebd.:
17) bestehen bleiben:
„Um eine ernstgemeinte Äußerung zu verstehen,
müssen wir nicht nur die Bedeutung des
Gesagten erfassen, sondern zugleich auch die beabsichtigte Kraft, mit der die Äußerung gemacht wurde“ (Skinner
2009b: 54, Hervorhebungen S.O.).
Die Probleme, die sich beim Versuch ergeben, die konventionelle
Bedeutung vergangener Äußerungen zu verstehen, haben wir bereits an anderer
Stelle ausführlich erörtert, sie
sollen uns hier nicht interessieren. Wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang
der Umstand, dass sich Skinner hier des Begriffs der ‚Kraft‘ bedient, mit der die
Wörter gesagt werden resp. die Äußerung gemacht wird. Ein Begriff, den er explizit
John L. Austin entlehnt, der die „‚illokutionären Rollen‘
[illocutionary forces]“ (Austin 1979: 117) als die
Funktionen illokutionärer Akte identifizierte. Es gilt, so
Skinner, bei historischen Texten nun „all die unterschiedlichen Kontexte (zu)
untersuchen, in denen diese Wörter verwendet wurden – all die Funktionen, die diese Wörter haben
können, all die unterschiedlichen Dinge, die man mit ihnen tun kann“ (Skinner
2009b: 57, Hervorhebung S.O.). Wenn wir Dinge mit Worten tun,
so tun wir sie „überlegt und willentlich“ (Skinner 2009c: 66). Damit „kann die
Verbindung zwischen der illokutionären Kraft der Sprache und dem Vollzug
illokutionärer Handlungen – wie bei allen willentlichen Handlungen – nur in den
Absichten des Sprechers[8] liegen“
(ebd.: 66, Hervorhebung S.O.).
Wir müssen also anerkennen, so Skinner, „daß Texte (…) Autoren haben und
daß Autoren über bestimmte Absichten verfügen, wenn sie Texte schreiben“ (ebd.:
82) – Derrida hin, Foucault her. Und weiter: „Jeder Kommunikationsakt
beinhaltet eine Stellungnahme in bezug auf einen bereits bestehenden Gesprächs-
und Argumentationskontext“ (ebd.: 78). Jede Rede, jeder Text ist demnach ein intentionaler Eingriff in einen Diskurs,
bei historischen Texten also ein intentionaler Eingriff in die „allgemeinen
diskursiven Kontexte ihrer Zeit“ (ebd. 81). Wir müssen deshalb nicht nur die
Bedeutung des Gesagten und die illocutionary
forces verstehen – wir müssen auch die „in der Äußerung selbst bestehenden
Interventionen“ (ebd.: 80) in bestimmte Diskurse in bestimmten Kulturen in
bestimmten Epochen angemessen zu verstehen suchen. Um aber das tun zu können,
um also „die (…) untersuchten Texte zurück in diejenigen kulturellen und
diskursiven Kontexte zu stellen, in denen sie ursprünglich verfaßt wurden“
(ebd.: 88), müssen wir bestimmen, um welche ‚bestimmten Absichten‘ es sich handelt, die ein Diskursteilnehmer mit den ‚in
der Äußerung selbst bestehenden Interventionen‘ verfolgt.
Worin
besteht der Eingriff in den Diskurs? Was ist die ‚auktoriale Intention‘? Und
was ist die über diese ‚auktoriale Intention‘ hinausgehende diskursive Absicht,
die mit dem Eingriff verfolgt wird? A kann „eine Frage stellen oder
beantworten; informieren, eine Versicherung abgeben, warnen; eine Entscheidung
verkünden, eine Absicht erklären; ein Urteil fällen; berufen, appellieren,
beurteilen; identifizieren oder beschreiben“ (Austin 1979: 116).
Fälle wie diese bezeichnet Austin als ‚illokutionäre Akte‘, sie sind für ihn „konventional“[9] (ebd.:
137). Doch ist diese Beschreibung als Beschreibung eines Eingriffs in den
Diskurs noch nicht hinreichend, sagt sie doch noch nichts über die diskursive Absicht aus, die A mit seinem Eingriff verfolgt
– also über sein kommunikatives Ziel:
A beabsichtigt, dass mit seinem Eingriff in
den Diskurs, also mit seiner Äußerung, bei B, C, D, E und PN „gewisse
Wirkungen erzielt werden“ (ebd.:
137).
Nun kennzeichnet aber die Absicht von A, mit seiner Äußerung bei den
Diskursteilnehmern B, C, D, E und PN bestimmte
Wirkungen zu erzielen, für Austin keinen
illokutionären, sondern vielmehr einen perlokutionären
Akt (die im Gegensatz zu illokutionären Akten, so Austin, nicht konventional sind, cf. Austin 1979: 137). Mit Austin ließe
sich also der Eingriff/die Intervention in einen Diskurs in etwa so
beschreiben:
A beabsichtigt, dadurch bei B, C, D, E und PN bestimmte
Wirkungen zu erzielen (perlokutionärer Akt), indem er das sagt/schreibt (illokutionärer Akt), was er sagt/schreibt (lokutionärer Akt).
Wie
können wir uns nun die Struktur eines solchen intentionalen Eingriffs in einen
Diskurs vorstellen? Und welches sind die wesentlichen Faktoren, die es dabei zu
beachten gilt?
Die Diskursteilnehmer
B, C, D und E haben sich zu einem bestimmten Thema geäußert, weitere Personen PN
haben deren Beiträge zur Kenntnis genommen. A greift das Thema auf und äußert
sich mit einer bestimmten Intention dazu (‚auktoriale Intention‘). Mit anderen
Worten: A greift in den Diskurs ein, der in den gegebenen zeitgeschichtlichen,
kulturellen, ethnischen, gruppenspezifischen, sprachlichen et al. Kontext
eingebettet ist. Das perlokutionäre Ziel (perlocutionary
object), das A mit seinem Eingriff verfolgt, ist es nun, bei den
Diskursteilnehmern B, C, D, E und PN eine bestimmte Wirkung zu
erzielen, sie also ‚zu etwas zu bewegen‘. So zum Beispiel, sie von seiner
abweichenden Meinung zu überzeugen (dieses Momentum ‚zu etwas zu bewegen‘ ist,
so haben wir gesehen, das vorrangige Ziel eines jeden kommunikativen Aktes [Keller
2014: 135]). Darüber hinaus kann der diskusive Eingriff
von A auch noch perlokutionäre Nachspiele (perlocutionary sequels)
erzeugen. Wobei es sich dabei sowohl um intendierte
‚perlokutionäre Nachspiele‘ als auch um nicht-intendierte
‚perlokutionäre
Nachspiele‘[10]
bei den Diskursteilnehmern B, C, D, E und PN
handeln kann (cf. Kap. 1, Ziele der Kommunikation).
Der perlokutionäre Akt kann nun, wie wir bereits bei Searle erfahren
haben (cf. Kap. 2), durch gewisse Ausdrücke angezeigt werden. „Zum Beispiel
kann ich jemanden durch Argumentieren überreden
oder überzeugen, durch Warnen erschrecken oder alarmieren, durch Auffordern dazu
bringen, etwas zu tun“ (Searle 1983: 42). Demnach handelt es sich bei Eingriffen
in einen Diskurs strukturell nicht um
eine Illokution, sondern vielmehr um eine Perlokution[11].
4.
Ein Diskurs[12]
nimmt
in der Reihe dialogischer Konstrukte eher die Rolle eines Exoten statt die des Normalfalls
ein. Ein solcher Normalfall ist zum Beispiel das alltägliche Gespräch, heute sicherlich
auch die eine oder andere Form geschriebener Mündlichkeit wie der
E-Mail-Verkehr, WhatsApp, Twitter etc. Skinner definiert wie gesehen Eingriffe
in Diskurse, und damit in dialogische Konstrukte überhaupt, als Vorgänge, bei
denen „die Verbindung zwischen der illokutionären Kraft der Sprache und dem
Vollzug illokutionärer Handlungen – wie bei allen willentlichen Handlungen –
nur in den Absichten des Sprechers
liegen“ (Skinner 2009c: 66, Hervorhebung S.O.) kann. Diese Absichten, die ein
Sprecher/ein Autor mit dem Eingriff in ein dialogisches Konstrukt verfolgt,
enden jedoch nicht mit dem Vollzug des illokutionären Aktes. Vielmehr zielen sie als diskursive Absichten darauf ab, bei
anderen Gesprächsteilnehmern bestimmte Wirkungen zu erzielen: sie ‚zu etwas zu
bewegen‘. Damit sind derartige Eingriffe als perlokutionäre Akte zu verstehen. Ihre kommunikative Funktion könnte,
analog Austins Begriff der ‚illocutionary
force‘, als perlocutionary force[13] bezeichnet werden: Indem diese perlocutionary force im Rahmen dialogischer
Konstrukte darauf abzielt, den (potentiellen) Gesprächspartner zu einer
Reaktion zu bewegen, sei es, dass er aufgemuntert (cf. Austin 1979: 149), zu
einer Replik, Meinungsänderung o.ä. animiert wird, bleibt die perlocutionary force nicht beim
Sprecher/Autor stehen, sondern konstituiert ein dialogisches Konstrukt durch
die Einbindung des (potentiellen) Gesprächspartners, dessen mögliche Reaktion
wiederum für den Sprecher/Autor oder andere potentielle Gesprächspartner ihrerseits
Motivation zur Reaktion ist (ad infinitum).
Dieses Konstrukt ist in der jeweiligen Synchronie in dem jeweiligen zeitgeschichtlichen,
kulturellen, ethnischen, gruppenspezifischen, sprachlichen et al. Kontext eingebettet
(ob dieser Eingriff nun ge- oder misslingt, also erfolgreich ist oder nicht,
steht auf einem ganz anderen Blatt). Damit würde sich die perlocutionary force als treibende Kraft, als der entscheidende
Impuls einer sich fortschreibenden Kommunikation erweisen: als Motor des
dialogischen Konstrukts. Ohne sie würde er stottern und beizeiten
stehenbleiben. Bis zu einem möglichen Zeitpunkt in der Diachronie, an dem ein
Sprecher/Autor den Motor wieder anwirft. Und der Prozess aufs Neue beginnt.
Nun finden die Eingriffe in
dialogische Konstrukte zwar jeweils in der jeweiligen Synchronie der jeweiligen
kulturellen, ethnischen, gruppenspezifischen, sprachlichen et al. Kontexte
statt. Doch mit Gadamer wissen wir ja um die eigentliche Pointe des
Heidegger’schen Seinsgedankens: „Sein (ist) als Zeit zu denken“ (Gadamer 1978:
106). Sein ist geschichtlich, das Seiende findet sein Sein nur im Sein, das geschieht. Sein ist als Zeit also steter,
gerichteter Fluss (und damit eben der Fluss, in den man nicht zweimal steigen kann[14]). Reine Dauer.
Kontinuum. Es gibt demnach nichts, was innehält. Alles Seiende als Anwesendes ist
nicht in einem in der Synchronie vermeintlich fixierten Zustand, sondern nur in
der Diachronie. So gesehen ist auch die Vorstellung eines Eingriffs in
dialogische Konstrukte in der Synchronie eines dieser eingangs erwähnten, vom
Arbeitsziel gebotenen Erfordernisse. Genauer gesagt: Das Konzept ‚Synchronie‘ selbst ist ein solches Erfordernis.
Tatsächlich läuft der von einer perlocutionary
force getragene Prozess der Rede und Gegenrede als soziokultureller Prozess
notwendig und einzig in der Diachronie ab: Es gibt de facto nur sie. Wie dieser Prozess nun abläuft und welche
Resultate er zeitigt, haben wir an anderer Stelle[15]
bereits
ausführlich beschrieben: Soziokulturelle Phänomene sind „Einrichtungen, die
in der Tat das Ergebnis menschlichen Handelns sind, nicht die Durchführung
eines menschlichen Plans“ (Keller 2014: 58) – „which are indeed the results of
human action, but not the execution of any human design“ (Adam Ferguson
1767: 187; zitiert nach: Keller 2014: 85). Ein solches Phänomen ist die kollektive, weder intendierte noch
geplante „kausale Konsequenz einer Vielzahl individueller intentionaler
Handlungen, die mindestens partiell ähnlichen Intentionen dienen“ (ebd.: 93). Eine
Konsequenz eben jenes Wirkens der
invisible hand, der unsichtbaren Hand[16], von der Adam Smith, in Anlehnung an Bernard
Mandevilles bitterböser Bienenfabel, in seinem Werk ‚Der Wohlstand der
Nationen‘ sprach (cf. Smith 1978: 371, cf. Oehm 2019b: 16).
Mit
anderen Worten: In dem Prozess dialogischer Konstrukte, die in der jeweiligen
Synchronie in den jeweiligen zeitgeschichtlichen, kulturellen, ethnischen,
gruppenspezifischen, sprachlichen et al. Kontext eingebettet sind, vollziehen eine
Vielzahl von Sprechern/Autoren individuelle Handlungen mit zumindest partiell
ähnlichen Intentionen. Dieser Prozess wird von einer perlocutionary force getragen, die das vorrangige Ziel eines jeden
kommunikativen Aktes beschreibt: den oder die anderen ‚zu etwas zu bewegen‘
(cf. Kap. 1). Die Sprecher/Autoren mögen ihn oder sie in den jeweiligen
dialogischen Konstrukten nun zu allem Möglichen bewegen wollen und zudem alle
möglichen weiteren Absichten verfolgen. Eine
Absicht hat jeder Einzelne von ihnen in all seinen kommunikativen Akten jedoch ganz
sicher nicht: die, die Sprache und mit ihr die Gebrauchsweisen der Worte zu wandeln
(in unserem konkreten Fall: die Gebrauchsweisen des Wortes Kunst und die durch sie generierten Begriffe ‚Kunst‘). Aber dennoch
werden die Worte, und mit ihnen die Sprache, im Gebrauch gewandelt: Dieser
Wandel ist eine der beschriebenen kollektiven, weder intendierten
noch geplanten kausalen Konsequenzen der intentional grundierten Sprechakte der
Sprecher/Autoren. Eine Konsequenz, die wir jedoch im aktuellen Gebrauch der
Sprache nicht bemerken, da dieser stets in der jeweiligen Synchronie stattfindet,
während sich der Wandel in
der Diachronie[17]
ereignet.
So wie wir nun im Kollektiv die
Sprache wandeln, so wandeln wir im Kollektiv alle soziokulturellen Phänomene[18].
Und
mit ihnen alle Kontexte, in denen die Texte in bestimmten Kulturen in bestimmen
Epochen verfasst werden, für die Skinner „das hermeneutische Ziel der
Bedeutungsexplikation, hier verstanden als Feststellung der auktorialen
Intention“ (Skinner 2009a: 8), als „Kern der hermeneutischen Aufgabe“ (ebd.:
17) ausgegeben hat. Nur verläuft aber der Wandel soziokultureller Phänomene und
ihrer Kontexte nicht in idealtypischer Synchronizität, sondern asynchron.
Versetzt. Rollierend. Von Epoche zu Epoche, von Kultur zu Kultur, von
Sprachgemeinschaft zu Sprachgemeinschaft jeweils anders. Ja selbst innerhalb
von Kulturen und Sprachgemeinschaften asynchron und versetzt. Unter solchen Umständen
Skinners Maßgabe Folge zu leisten und „die (…) untersuchten Texte zurück in
diejenigen kulturellen und diskursiven Kontexte zu stellen, in denen sie
ursprünglich verfaßt wurden“ (Skinner 2009c: 88), ist ein schwieriges
Unterfangen. Sowohl bei historischen als auch bei kunsthistorischen Texten, in
denen im Rahmen der jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontexte über ‚Kunst‘
gesprochen wird. Aber es eröffnet sich uns so immerhin die Möglichkeit einer „ernsthafte(n)
Auseinandersetzung mit unvertrauten Denkweisen“ (Skinner 2009c: 88) und
Lebensformen, im Verlaufe derer wir „eine gewisse Distanz zu unseren eigenen
Überzeugungen und Wertesystemen (…) gewinnen“ (ebd.: 88) und erkennen, „daß
unsere eigenen Beschreibungen und Begriffe keineswegs zeitlos überlegen sind“
(ebd.: 88). Und das ist in Zeiten wie diesen vielleicht die erhebendste
Einsicht, die sich nur denken lässt.
5.
Die
bisherige Analyse bestätigt Skinners These, dass es eine gültige Interpretation eines Textes, eine verbindliche,
verifizierte „Feststellung der auktorialen Intention“ (Skinner 2009a: 8) prinzipiell
nicht geben kann, vollumfänglich. Diese These wird durch eine ganz Reihe weiterer
Faktoren noch untermauert:
1.
Unsere Möglichkeiten, zu einer gültigen Explikation der ‚Bedeutung
des Gesagten‘ bei etablierten und konventionellen Bedeutungen
vergangener Begriffe und Äußerungen zu gelangen, sind schon aufgrund der nicht
gegebenen sprachlichen Sozialisation in anderen Epochen begrenzt (analoges
gilt bei Begriffen und Äußerungen in kulturellen Kontexten, in denen wir nicht
sprachlich sozialisiert wurden). So besitzen wir kein
internalisiertes Wissen um diese Bedeutungen
vergangener Begriffe und Äußerungen (analog gilt: Wir besitzen auch kein
solches Wissen um die Bedeutung der Begriffe und Äußerungen in anderen Kulturen.).
2.
Unsere Möglichkeit, zu einer gültigen
Explikation der ‚Bedeutung des Gesagten‘ bei vergangenen
singulären Gebrauchsweisen (Sprecher-Bedeutungen) zu gelangen, tendiert gen Null (wie
groß mag da wohl die Möglichkeit zur verifizierten Feststellung bei vergangenen
singulären Gebrauchsweisen anderer
Kulturen sein?).
3.
Bei einem diskursiven Eingriff liegt nicht nur die ‚beabsichtigte
Kraft‘ der Äußerung vor, in der Skinner Austins illocutionary force illokutionärer Akte sieht (die für Austin stets
‚konventional‘ sind). Es erfolgt dabei ein weiterer, nicht-konventionaler Sprechakt mit einer individuellen Intention
des Sprechers: der mit perlocutionary
force vollzogene perlokutionäre Akt (Austin trennt Illokutionen von
Perlokutionen, indem er sagt, „daß illokutionäre Akte mit der Äußerung gegeben
sind, perlokutionäre aber noch zusätzlich
etwas verlangen“ [Austin 1979: 147, Hervorhebung S.O.]).
4.
Nur ein verschwindend geringer Teil der von
Sprechern einer natürlichen Sprache im Laufe von Generationen gemachten
Äußerungen erfolgt in schriftlicher Form. Bei dem überwiegende Teil unserer
Äußerungen handelt es sich hingegen um mündliche
Äußerungen. Diese haben jedoch keine Dauer, sie sind flüchtig,
transitorisch. Das heißt: Es sind uns aufgrund fehlender technischer
Möglichkeiten keine authentischen mündlichen
Äußerungen aus den vergangenen Jahrhunderten überliefert. Bei den wenigen Überlieferungen
mündlicher Äußerungen handelt es sich
vielmehr um schriftliche Zeugnisse,
die zum Teil bedeutend später und dann oftmals auch interessegeleitet[19] mit manipulativem
Impetus niedergeschrieben wurden.
Ein weiterer Umstand erschwert eine,
wenn schon nicht gültige, so doch gemäße ‚Feststellung der auktorialen
Intention‘: Die intentionale Zielrichtung der diskursiven Eingriffe ist höchst
divers. Bei manchen dieser Eingriffe sollen die Intentionen erkannt werden, bei
anderen hingegen sollen sie unerkannt bleiben. Manche werden explizit
intentional geäußert, manche implizit, manche sind dem Sprecher selbst gar
nicht bewusst. Manchmal sind gleich mehrere Intentionen, die sich auf
verschiedenen Ebenen bewegen, parallel im Spiel (ich intendiere: 1. verstanden
zu werden; 2. zu überzeugen; 3. den Diskurs in eine andere Richtung zu lenken; 4.
eine Begriffsdifferenzierung; 5. mich zu profilieren; 6. für sympathisch,
attraktiv, intelligent gehalten zu werden u.v.a.m.), manchmal nicht. Manche Eingriffe
ähneln eher ritualisierten Diskursformen, manche andere muten an wie eklatante Verstöße
gegen „die Hypermaxime unseres Kommunizierens“ (Keller 2014: 142): „Rede so,
dass du die Ziele, die du mit deiner kommunikativen Unternehmung verfolgst, am
ehesten erreichst.“ (ebd.: 142). Ein solcher Fall kann m.E. dann eintreten,
wenn es
sich bei der Intention um die mit perlocutionary
force vorgetragene Sprecher-Intention[20]
handelt,
wir also den Grice’schen Fall des Meinens vorliegen haben: Der jeweilige Diskurspartner
ist gehalten, die singuläre Sprecher-Bedeutung zu erkennen. Das heißt: zu verstehen,
was der andere mit der Äußerung meintG).
Solche
intentional getriebenen dialogischen Konstrukte ereignen sich täglich überall. Und
das eben nicht nur in dem für Historiker wie für Kunsthistoriker spezifischen
Format, den historisch relevanten Texten, die nach Skinner zurück in diejenigen
kulturellen und diskursiven Kontexte gestellt werden müssen, in denen sie
ursprünglich verfasst wurden, damit deren hermeneutische Bedeutungsexplikation angemessen
erfolgen kann und der Interpret nicht in die Falle der Rückprojektion heutiger
Denkmuster und Begriffe in die Vergangenheit tappt: Diese dialogischen
Konstrukte ereignen sich in allen möglichen nur denkbaren Formaten. Sie finden im
Großen wie im Kleinen statt. Im weltpolitischen wie im wissenschaftlichen
Diskurs. Im Gespräch unter Freunden in der Schwemme wie auch in der Familie.
Oder im Wirtschaftsleben. In der Öffentlichkeit oder auch hinter verschlossenen
Türen. Schriftlich per Mail, Messenger-Dienst, als Buch oder Zeitungsartikel, mündlich
als Debattenbeitrag im Plenarsaal oder via Skype. Ja selbst zwischen Tür und
Angel.
Mit
anderen Worten: Die historisch diskursiv relevanten Texte, deren
Bedeutungsexplikation ja Skinners hermeneutisches Ziel ist, bilden lediglich
die Spitze der Spitze eines gewaltigen Eisbergs. Nur ein Bruchteil vergangener Äußerungen
ist unserer Kenntnisnahme und damit unserer Interpretationsmöglichkeit überhaupt
zugänglich. Es gibt von ihnen kein Wissen, ja: es kann keines geben. Und wenn
es von ihnen kein Wissen gibt (und geben kann), kann es natürlich auch kein
Wissen von ihrem jeweiligen Anteil der Einflussnahme auf die diversen Diskurse,
auf die Begriffsverwendung oder auch auf die Zuschreibung von etwas als etwas innerhalb
der jeweiligen Synchronie geben. Das einzige, was sich mit halbwegs
verlässlicher Sicherheit sagen lässt, ist, dass sich aus
dieser Vielzahl ungenannter und unbekannter Äußerungen[21], die als
perlokutionäre Sprechakte individuelle intentionale Handlungen sind, in der
Vergangenheit in einem Prozess der unsichtbaren Hand kollektive, nicht
intendierte, nicht geplante kausale Konsequenzen ergeben haben, so wie sich,
von uns unbemerkt, gegenwärtig aus ihnen derartige Konsequenzen ergeben und
aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft ergeben werden.
Kunsthistorisch resp. kunstphilosophisch von Interesse sind dabei insbesondere
zwei dieser prozessualen Konsequenzen in der jeweiligen Synchronie: Zum einen die Etablierung der
jeweiligen Begriffe ‚Kunst‘ innerhalb einer Sprachgemeinschaft, zum anderen die
dort allgemein akzeptierte Zuschreibung eines Werks als Kunstwerk[22]. Will man sich
einen halbwegs angemessenen Begriff von dem in der jeweiligen Synchronie
etablierten Begriff ‚Kunst‘ machen, so muss versucht werden, ihn im Sinne
Skinners zurück in diejenigen kulturellen und diskursiven Kontexte zu stellen,
in dem er ursprünglich verfasst wurde. Denn im fortlaufenden Prozess des
Wandels werden die Karten in der Diachronie beständig neu gemischt, betrifft
dieser Wandel doch nicht nur den der Gebrauchsweisen des Wortes Kunst und der daraus generierten
Begriffe ‚Kunst‘: Asynchron wandeln sich auch jedwede einflussnehmenden
Kontexte, in die der Gebrauch der Sprache stets eingebettet ist. Mit anderen
Worten: Es gibt keinen historisch stabilen Begriff ‚Kunst‘. Es gibt „lediglich
eine Vielzahl von Aussagen von einer Vielzahl verschiedener Akteure mit einer
Vielzahl verschiedener Absichten“ (Skinner 2009b: 58), also „nur eine
Geschichte ihrer verschiedenen Verwendungsweisen und der verschiedenen hinter
ihnen stehenden Absichten“ (ebd.: 58) – und damit auch eine der verschiedenen
etablierten Gebrauchsweisen des Wortes Kunst
und der daraus generierten Begriffe ‚Kunst‘.
Wer
nun im Sinne Skinners einen kunsthistorischen Text und mit ihm den jeweils
episodalen, zeitgeschichtlichen Begriff ‚Kunst‘ verstehen will, muss „sowohl
die Absicht verstehen, die verstanden werden sollte, als auch die Absicht, daß
diese Absicht verstanden werden
sollte[23],
die
der Text als intentionaler Akt der Mitteilung beinhalten muß“ (ebd.: 60). Also
das, was die jeweiligen Autoren „zu jener Zeit, in der sie für eine spezifische
Leserschaft geschrieben haben (…) tatsächlich mit ihren Äußerungen mitzuteilen
beabsichtigt haben“ (ebd.: 60). Dazu gehört aber, wie wir gesehen haben, über
Skinners Konzept hinausgehend ganz wesentlich die mit perlocutionary force vorgetragene Sprecher-Intention, womit der
Grice’sche Fall des Meinens beschrieben wird.
6.
Analoges
gilt für die allgemein akzeptierte Zuschreibung eines Werks als Kunstwerk: Es
gibt ‚nur eine Geschichte ihrer verschiedenen Zuschreibungen‘, das heißt: es
gibt in der jeweilig episodalen Synchronie der Diachronie jeweils ‚eine
Vielzahl von Zuschreibungen von einer Vielzahl verschiedener Akteure mit einer
Vielzahl verschiedener Absichten‘, der ‚eine Vielzahl von Zuschreibungen von
einer Vielzahl verschiedener Akteure mit einer Vielzahl verschiedener
Absichten‘ folgt, der ‚eine Vielzahl von Zuschreibungen von einer Vielzahl
verschiedener Akteure mit einer Vielzahl verschiedener Absichten‘ folgt. Episodales
Ereignis folgt auf episodales Ereignis. Ad infinitum.
Diese Analyse lässt sich zumindest auf drei Ebenen der Zuschreibung von
etwas als Kunst anwenden, die mit drei Ebenen der Gebrauchsweisen
des Wortes Kunst korrespondieren (cf.
Oehm 2019a: 10, auch: Oehm 2019b: 272). Im Einzelnen ist das die Ebene des Begriffs ‚Kunst‘
1. als konkretes
Kunstwerk
2. als Stil und
Medium (so in der Musik: Jazz, Rap, Klassik; Medien in der bildenden Kunst:
Performance, Malerei, Fotografie)
3. als Kunstgattung
(z.B. Musik, bildende Kunst, Theater).
Insofern
ist die Frage, was Kunst ist, auf diesen drei Ebenen der Zuschreibung und der entsprechenden
Gebrauchsweisen des Wortes Kunst recht
unromantisch zu beantworten: Es ist in der jeweiligen Synchronie das kollektive,
weder intendierte noch geplante kausale Resultat einer Vielzahl zumindest
partiell gleichgerichteter individueller intentionaler Sprachhandlungen im
Rahmen eines je spezifischen zeitgeschichtlichen, kulturellen und diskursiven
Kontextes. Kurz gesagt:
Kunst ist jeweils das, was in allgemeiner Übereinstimmung
innerhalb einer Sprachgemeinschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt x Kunst genannt wird[24].
Wenn Kunst also das ist, was episodal in einer Sprachgemeinschaft jeweils
als Kunst gilt – wäre damit dann nicht auch jede Rede vom ‚Ende der Kunst‘ obsolet?
Eine solche Rede zielt ja „auf die Konstruktion von historischer Kontinuität“
ab (Gallus
2019: o.S.). Denn wo es ein Ende gibt, muss es auch mal auch einen Anfang
gegeben haben. Und der wird in der Regel nicht in der jeweiligen Synchronie
verortet, sondern mit Vorliebe in der fernsten Vergangenheit abendländischer
Kultur terminiert, die bei manchem sogar bis in die Höhlen von Altamira reicht.
Dabei werden dann schon mal en passant
gegenwärtig allgemein akzeptierte und etablierte Begriffe ‚Kunst‘ auf die
Vergangenheit projiziert (es wäre zu zeigen, welche das im Einzelnen sind). In
beiden Fällen befinden wir uns mitten im Reich der von Quentin Skinner
ausgemachten Mythologien der Geschichtsschreibung. Erschwerend kommt noch der
derzeit grassierende inflationäre Gebrauch des Begriffs ‚Kunst‘ hinzu, der
selbst von ansonsten ausgewiesenen Kunstexperten befeuert wird – auch im
Kontext dieser Rede vom Ende der … ja von was eigentlich? Florentin Schumacher greift
in einer Kolumne für die F.A.S. auf diesen nicht erst seit Arthur C. Danto
wieder ach so beliebten Hegel’schen Topos (Schumacher 2020: 34) angesichts des
Einflusses der Künstlichen Intelligenz auf die Musik zurück, dabei die
Popsängerin Grimes zitierend: „Ich glaube, wir befinden uns am Ende der Kunst,
menschlicher Kunst.“
Nur
haben wir es, wie gesehen, auf den Ebenen der Zuschreibung mit drei
verschiedenen Gebrauchsweisen des Wortes Kunst
und damit mit drei verschiedenen Begriffen ‚Kunst‘ zu tun; an anderer Stelle
haben wir mindestens vier weitere Gebrauchsweisen des Wortes Kunst identifiziert (cf. Oehm 2019a: 10,
auch: Oehm 2019b: 272). Wenn wir also vom ‚Ende der Kunst‘ reden, müssen wir
wissen, von welchem dieser (mindestens) sieben verschiedenen Begriffe ‚Kunst‘
wir eigentlich Gebrauch machen – und ob diese zu eruierende
Gebrauchsweise eine der Gebrauchsweisen des Wortes Kunst ist, die wir bei der Zuschreibung dessen nutzen, was episodal
jeweils als Kunst gilt. Oder ob wir hier zwar den gleichen Signifikanten Kunst vorliegen haben, aber jeweils über
verschiedene Dinge reden, wenn wir über Kunst reden (cf. Oehm 2019b passim).
Spricht
nun ein Hegelianer vom ‚Ende der Kunst‘, so referiert die Gebrauchsweise des
Wortes Kunst zunächst nicht auf die Ebene individuellen
Handelns (Mikroebene), sondern auf die der sozialen Institution (Makroebene). Und
dort nicht auf die der episodalen Ereignisse sozialer Institutionen (z.B. der
Stile oder Medien der einzelnen Künste), sondern auf die Ebene der allgemeinen sozialen Institution (Kunst
als Oberbegriff aller künstlerischen Schöpfungen: ‚die Kunst‘).
Diese Rede konkretisiert Hegel selbst mit Beispielen des Begriffs ‚Kunst‘, der
sich auf der Ebene der spezifischen
sozialen Institution befindet, das heißt der Ebene der einzelnen Kunstgattungen
(Literatur, bildende Kunst, darstellende Kunst etc.), um in einem nächsten
Schritt auf die Ebene individuellen Handelns überzugehen (Begriff ‚Kunst‘ bezogen
auf das konkrete Werk – so z.B. auf Don
Quijote, der Hegel zufolge den Schluss des Romantischen darstellt).
Von
welchem Wort Kunst wird nun Gebrauch
gemacht, wenn die kanadische Popsängerin Grimes und mit ihr Florentin
Schumacher vom „Ende der Kunst, menschlicher Kunst“ spricht, das uns durch den
Einsatz Künstlicher Intelligenz dräut (der Text stellt, im Sinne Skinners,
einen Eingriff in einen aktuellen Diskurs dar, der in den zeitgeschichtlichen
Kontext eingebettet ist)? Es hat zunächst den Anschein, als würde es sich hier um
den
Begriff ‚Kunst‘ handeln, der sich auf die Ebene der allgemeinen sozialen Institution bezieht (Kunst als Oberbegriff
aller künstlerischen Schöpfungen: ‚die Kunst‘) – das legt das Zitat der
Sängerin wie auch die Schlagzeile des Beitrags nahe. Nun ist aber im gesamten
Text nur die Rede von einer Kunstform, der Musik (Ebene der spezifischen sozialen Institutionen, der
einzelnen Kunstgattungen), dabei konkret von einem spezifischen episodalen Ereignis sozialer
Institutionen (Stile oder Medien der einzelnen Künste, in diesem Fall: Rap)
und, noch konkreter, von einzelnen musikalischen Werken bestimmter
Musiker (Ebene individuellen Handelns). Was die Vermutung nahelegt, dass damit,
pars pro toto, das Ende ‚der‘ Kunst
am Beispiel der Kunstgattung ‚Musik‘ illustriert werden soll.
Wenn hier aber nun bei der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ Gebrauch von der
Gebrauchsweise des Wortes Kunst
gemacht wird, die sich auf die allgemeine soziale
Institution bezieht (Kunst als Oberbegriff aller
künstlerischen Schöpfungen: ‚die Kunst‘), so handelt man sich damit mindestens
eines jener Probleme ein, die Quentin Skinner beschrieb – die ‚mythology of
doctrines‘. Oder, schlimmer noch, die ‚mythology of perennialism‘. Hier werden nicht
nur Lehren der Gegenwart in die Geschichte zurückprojiziert und so Anachronismen
erzeugt, hier geht man gleich von
zeitlosen Fragen und Werten aus. Wie heikel das im Falle der
Gebrauchsweise des Wortes Kunst als Oberbegriff
aller künstlerischen Schöpfungen ist, zeigt sich daran, dass sich diese erst im
Zuge der Etablierung der Ästhetik als eigenständige Disziplin während des
späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Vorher gab es ‚die Kunst‘ als Oberbegriff
aller künstlerischen Schöpfungen schlicht nicht (cf. auch Schmücker 1998:
241).
Damit handeln wir uns gleich das nächste Problem ein. Denn die ästhetische
Kernfrage, die Frage nach dem Wesen der Kunst – ‚Was ist Kunst? – referiert ja auf eben jene Gebrauchsweise als allgemeine soziale Institution, bei
der es das Wort Kunst nur als nicht
zählbares Substantiv, als mass noun
gibt. Mithin kann diese Frage in dieser
Form erst seit etwa Mitte des 18. Jahrhunderts gestellt werden. Schreiben wir
beispielsweise Platon zu, sich Gedanken über das Wesen der Kunst gemacht zu
haben, läge, ausgehend von dieser
Gebrauchsweise, eine Rückprojektion heutiger Denkmuster und Begriffe in die
Vergangenheit im Sinne Skinners vor. Doch damit nicht genug: Die
Frage nach dem Wesen der Kunst korrespondiert mit der Frage nach der
wesentlichen und damit gemeinsamen Eigenschaft aller Artefakte gleich welcher Entität, die diese, unabhängig von
jedweder episodalen Zuschreibung, ewiglich
als Kunstwerke auszeichnet. Eine Frage, die sich auf die Komprehension[25] aller
Kunstwerke bezieht, das heißt auf die Menge aller möglichen (vergangenen,
jetzigen und zukünftigen) Kunstwerke. Die Konsequenzen, die sich daraus
ergeben, sind beträchtlich:
1.
Die Komprehension umfasst offensichtlich auch den
Zeitraum vor Etablierung des Begriffs
‚Kunst‘ als Oberbegriff aller Künste. Das heißt: Es muss behauptet werden, dass
es diesen ‚Wesensbegriff‘ in gewisser Weise schon gab, bevor es ihn gab. Damit ginge
die Behauptung einher, bei diesem Begriff ‚Kunst‘ würde es sich um einen
Begriffstypus handeln, wie ihn der amerikanische Philosoph Hilary Putnam am
Beispiel des Goldes beschrieben hat (cf. Oehm 2019b: 301): Gold war immer schon
das, was heute atomar, physikalisch und chemisch als Gold definiert wird (und
wird es immer bleiben). Unabhängig davon, was in der Vergangenheit jemals als
Gold beschrieben oder wie Gold auch immer in den verschiedenen Sprachen benannt
wurde (ein anderes Beispiel ist: ‚Primzahl‘).
2.
Die Komprehension umfasst zudem die Menge aller
Kunstwerke aller Künste. Also nicht
nur der bildenden Kunst, sondern auch aller anderen Künste. Genauer gesagt:
aller Künste, die in der Vergangenheit als Kunst galten, in der Gegenwart als
Kunst gelten und in der Zukunft als Kunst gelten werden.
Wenn also die
traditionelle Ästhetik im Wesen der Kunst die gemeinsame Eigenschaft der Komprehension der Kunstwerke sieht, müsste
sie diese Konsequenzen akzeptieren. Und wenn die analytische Ästhetik behauptet,
der Begriff der Kunst ließe sich nicht definieren, so würde diese Behauptung
die Möglichkeit nicht ausschließen, dass es ‚die Kunst‘ gibt und es zumindest
eine hypothetische Chance auf eine solche Definition in ferner Zukunft gibt. Wenn
es aber, wie ich geneigt bin anzunehmen, ‚die Kunst‘ gar nicht gibt, bestenfalls
Künstler,
Künste und Kunstwerke[26], die
einer episodalen Bestimmung und Zuschreibung in den jeweiligen Kontexten der
jeweiligen Synchronie unterliegen (zu beachten ist zudem, dass der gesamte hier
verhandelte Begriffskosmos ‚Kunst‘ abendländisch grundiert ist), so wäre der
Grund, warum sich zumindest dieser
Begriff der Kunst nicht definieren lässt, prinzipieller Natur.
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[1] Dieses Wissen darf nicht als explizites Wissen
missverstanden werden, also eines Wissens, um das ich weiß. Es handelt sich um
ein implizites Wissen, das sich darin äußert, dass mein Gebrauch deckungsgleich
ist mit dem derzeit allgemein akzeptierten, mithin also konventionellen
Gebrauch einer Sprachgemeinschaft.
[2] Die „Bedeutung
(kann) nicht gleichgesetzt werden mit dem, was ein Sprecher von Fall zu Fall
meint“ (Keller 2014: 88): Bei ersterem handelt es sich um die konventionelle
Bedeutung (verstehenB), bei
letzterem um die Sprecher-Bedeutung (verstehenM).
[3] Den
strukturellen Prozess der Bedeutungsetablierung auf Basis des handlungstheoretischen
Grundmodells von H. Paul Grice haben wir, ausgehend von verstehenM hin zu verstehenB, an anderer
Stelle ausführlich erörtert (cf. Oehm 2019a: 36, auch: Oehm 2019b: 6).
[4] Wenn
perlokutionäre Akte nicht-konventionale Akte sind, kann der Diskursteilnehmer nicht auf ein etabliertes Verständnis
zurückgreifen, sondern muss, um sie zu verstehen, die jeweiligen singulären
Sprecher-Intentionen verstehen. Wendet der Sprecher/Autor diese Strategie nun
regelmäßig an und wird diese Anwendung von anderen Diskursteilnehmern goutiert
und übernommen, schlagen wir geradewegs den Weg zur Etablierung und
Konventionalisierung des Gebrauchs ein. Damit würde aus diesem perlokutionären
Akt gegebenenfalls ein illokutionärer Akt – und aus der Sprecher-Intention
resp. Sprecher-Bedeutung eine konventionelle Bedeutung. Wäre das der Fall, läge
hier eine mögliche Verbindung der Austin’schen Sprechakttheorie, der
Grice’schen Sprachhandlungstheorie sowie der Keller’schen Theorie des
Sprachwandels (die eine der Bedeutungsetablierung impliziert) vor.
[5] Die von Savigny
betreute Übersetzung scheint mir an dieser Stelle ganz und gar nicht schlüssig,
ja zum Teil sogar sinnentstellend zu sein: „Damit sind illokutionäre Akte auf
dreierlei Art mit Wirkungen verknüpft: das Verständnis sichern, wirksam sein
und zu einer Antwort auffordern; und diese unterscheiden sich allesamt vom
Hervorbringen von Wirkungen, wie es für den perlokutionären Akt
charakteristisch ist. Der perlokutionäre Akt besteht entweder darin, daß ein
perlokutionäres Ziel erreicht (überzeugen, überreden) oder ein perlokutionäres
Nachspiel erzeugt wird. Z.B. kann der Akt, jemanden zu warnen, sein
perlokutionäres Ziel erreichen, ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen, und
auch das perlokutionäre Nachspiel haben, ihn aufzuregen“ (Austin 1979: 134). Im
englischen Original heißt es jedoch: „So here are three ways in which
illocutionary acts are bound up with effects; and these are all distinct from
the producing of effects which is characteristic of the perlocutionary act. We
must distinguish actions which have a perlocutionary object (convince,
persuade) from those which merely produce a perlocutionary sequel. Thus we may
say ‚I tried to warn him but only succeeded in alarming him‘. What is the
perlocutionary object of one illocution may be a sequel of another“ (Austin
1962: 117). Es bedürfte einer eigenen Analyse, die Ungereimtheiten im Detail
auszuarbeiten. Hier sollen nur stichwortartig einige wesentliche Differenzen
genannt werden: 1. Savigny gibt Beispiele für die drei Arten der Wirkungen illokutionärer
Akte, wo es Austin nicht tut. 2. Austin benennt nicht die Sprachhandlung, die einmal ein ‚perlocutionary object‘
hat, einmal „merely produce a
perlocutionary sequel‘. Savigny hingegen identifiziert sie als perlokutionären
Akt. Was mir aber in dieser vermeintlichen Eindeutigkeit sehr zweifelhaft
erscheint, spricht doch Austin im weiteren Verlauf nicht nur von ‚a sequel of a
perlocutionary act‘ sondern auch von dem ‚perlocutionary object of one illocution‘ wie auch von der ‚sequel of
an illocution‘. Das heißt: Wenn
Austin von der Notwendigkeit spricht, ‚actions‘
zu unterscheiden, so ist diese Formulierung m.E. ganz bewusst gewählt. In der
8. Vorlesung schreibt er: „There is yet a further sense (C) in which to perform
a locutionary act, and therein an illocutionary act, may also be to perform an
act of another kind“ (Austin 1962: 101, gemeint ist hier der ‚perlocutionary
act‘). Austin meint mit ‚actions‘ demnach die Sprachhandlungen als solche, bei
der neben dem lokutionären Akt und dem illokutionären Akt ‚may also be to perform an act of another kind‘: der perlokutionäre
Akt. 3. Savigny sagt, dass die Sprachhandlung entweder darin besteht, dass ein perlokutionäres Ziel erreicht oder ein perlokutionäres Nachspiel
erzeugt wird (exklusives Oder). Davon steht bei Austin aber nichts. Er
unterscheidet Sprachhandlungen „which have a perlocutionary object from those
which merely produce a perlocutionary sequel“. Das heißt: Es gibt Handlungen,
die ‚merely‘ eine ‚perlocutionary
sequel‘ erzeugen, aber kein
‚perlocutionary object‘ haben (nicht: ‚erreichen‘) – und es gibt solche, die
ein ‚perlocutionary object‘ haben und auch
‚a perlocutionary sequel‘ erzeugen.
[6] Auch hier ist die Bearbeitung von Savigny in gewisser Weise
tendenziös: Der Ausdruck, den Austin verwendet, lautet „certain consequential
effects“, also ‚gewisse/bestimmte wichtige
Wirkungen‘ (Hervorhebungen S.O.). In der deutschen Übersetzung wird aus
unerfindlichen Gründen das ‚wichtige‘ unwichtig. Und entfällt. So heißt es dort
dann nur noch recht lapidar „gewisse Wirkungen“ (Austin
1979: 118).
[7]
Dieses immanente Ziel der Perlokution beschreibt das, was Keller als das vorrangige
Ziel eines jeden kommunikativen Aktes
identifiziert hat (Keller 2014: 135). Die Vermutung
liegt nahe, dass es sich dabei um etwas handelt, was man den grundlegenden
Impuls für Beginn und Fortführung eines jedes dialogischen Konstrukts nennen
könnte (cf. Kap. 4).
[8]
Austins Theorie ist nicht allein eine Theorie der ordinary language, der
normalen Sprache, sie ist auch eine der Sprechakte.
Dabei bezieht sich Austin der Einfachheit halber zunächst einmal nur auf die
gesprochene, nicht auf die geschriebene Sprache – „(s)till confining ourselves, for simplicity, to spoken utterance“ (Austin 1962: 113). Nun sind aber
Historikern in der Regel nur Texte
zugänglich, also schriftliche Zeugnisse vergangener Äußerungen und Aussagen.
Wohl deshalb bedient sich Quentin Skinner an dieser Stelle einer kleinen Behelfskonstruktion
und definiert, so Marion Heinz/Martin Ruehl in ihrem Nachwort zu dessen
Aufsatzband ‚Visionen des Politischen‘, diese Texte als eine Form „‚erstarrter
Sprechhandlung‘ (frozen speech)“
(Heinz/Ruehl 2009: 271).
[9] Skinner sagt
aus für mich nicht ganz nachvollziehbaren Gründen, dass Austin „davon
auszugehen schien, daß das
Verständnis illokutionärer Akte (…) fest etablierte sprachliche Konventionen
voraussetzt, daß diese Konventionen, und nicht
die Absichten der Sprecher, letztlich für die Bestimmung illokutionärer Akte
entscheidend sind“ (Skinner 2009c: 67, Hervorhebung S.O.). Soweit ich es
beurteilen kann, äußert sich Austin, zumindest im Rahmen der unter dem Titel
;How to do things with Words‘ herausgegebenen Vorlesungen, völlig unmissverständlich:
Für die illokutionären Akt „gilt ausnahmslos,
daß man sich für sie konventionaler Mittel bedienen muß“ (ebd.: 136, Hervorhebungen S.O.).
[10] Was nun
perlokutionäres Ziel, was intendiertes
perlokutionäres Nachspiel und was nicht-intendiertes
perlokutionäres Nachspiel ist, lässt sich vermutlich nur im Einzelfall, von
singulärem diskursiven Eingriff zu singulärem diskursiven Eingriff entscheiden:
Wann ist es mein intendiertes ‚object‘, jemanden zu überzeugen, zu
belügen, zu täuschen, einzuschüchtern, zu ängstigen, von mir zu begeistern, gegen mich
aufzubringen, mir gewogen zu machen, wann meine intendierte
‚sequel‘, wann eine nicht-intendierte ‚sequel‘?
[11] Zu Beginn
seines Aufsatzes ‚Interpretation und das Verstehen von Sprechakten‘ (Skinner
2009c: 64ff.) geht Skinner explizit auf Austins These ein, dass ich einerseits
Dinge mit Worten tun kann, indem ich
sie sage (Illokution) und dass ich andererseits bestimmte Wirkungen dadurch erzielen kann, dass ich etwas äußere (Perlokution). Im
Folgenden geht er jedoch, warum auch immer, darauf nicht weiter ein und
subsumiert stattdessen alle Aspekte
unter den Begriffen ‚illokutionärer Akt‘ und ‚illokutionäre Kraft‘. So bei dem
Akt des Warnens, der „erst aufgrund der vielschichtigen Absichten, die in
seinen Vollzug eingehen, zu einem Akt des Warnens“ (Skinner 2009: 71) wird. Nur
heißt aber zum Beispiel „durch Warnen erschrecken oder alarmieren“ (Searle 1983: 42) nicht, einen illokutionären Akt
vollziehen, sondern einen perlokutionären
Akt.
[12] Hier hat
Skinner neben konkreten historischen Diskursen auch die „allgemeinen
diskursiven Kontexte“ (Skinner 2009: 81) der jeweiligen Zeit im Auge.
[13] Skinner gibt
an, dass bereits Austin „zwischen der illokutionären und der perlokutionären
Kraft von Aussagen“ (Skinner 2009c: 65) unterscheidet. Dies ist meines Wissens
nicht der Fall, zumindest nicht in Lecture IX, die Skinner als Referenz angibt
(Austin 1962: 108ff.). In Lecture VIII spricht Austin lediglich von der
„doctrine of the different types of function of language (…) as the doctrine of
‚illocutionary forces‘ (Austin 1962:
99, Hervorhebung S.O.). An der Stelle, die Skinner zitiert (Austin 1962: 108),
spricht Austin hingegen von dem „locutionary
act“ und dem „illocutionary act“,
den wir vollziehen, letztere sind „utterances which have a certain
(conventional) force“ (ebd.: 108). Es hadelt sich dabei also um eine ‚illocutionary force‘. „Thirdly, we may
also perform perlocutionary acts“
(ebd.: 108). Von einer perlocutionary
force ist hingegen nicht die Rede.
[14] Das ist auch der Grund dafür, warum
wissenschaftliche Experimente im strengen Sinne nicht unter exakt gleichen Bedingungen wiederholbar
sind.
[15] Stefan
Oehm (2019b): Worüber reden wir, wenn wir über Kunst reden?; auch: Stefan
Oehm (2019a): Entwurf einer
grundsätzlichen Erörterung des Begriffs 'Kunst', in: Mythos Magazin (http://www.mythos-magazin.de/erklaerendehermeneutik/so_kunst.htm).
[16] Der Soziologe
Andreas Reckwitz charakterisiert die Spätmoderne als eine Gesellschaft der
radikalisierten Singularitäten. Mit der gesellschaftlichen Aufwertung des
Singulären, Besonderen, Einzigartigen (zu der auch die gegenwärtig zu
beobachtende Exaltierung des Status der Artefakte gehört, die im Rahmen des
Kunstmarktes so gerne als ‚Kunstwerke‘ apostrophiert werden) geht eine
Abwertung des Standardisierten und Funktionalen einher. „Die allseitige
Singularisierung des Sozialen erzeugt also unter gegenwärtigen Bedingungen
unweigerlich und systematisch strukturelle Asymmetrien und Disparitäten“
(Reckwitz 2019: 22). Und eben diese sind als soziokulturelle Phänomene „ganz
überwiegend weder geplant noch bewusst herbeigeführt worden, sondern das, was
Soziologen nichtintendierte Handlungsfolgen nennen“ (ebd.: 19). Was also unter
dem Namen ‚invisible hand‘ als Beschreibung des Sachverhalts im Kontext
kunsthistorischer oder kunstphilosophischer Betrachtungen so befremdlich
anmutet, ist in der Soziologie ein alter Hut, ein längst bekanntes und
beschriebenes Phänomen (cf. Elias 1976: 313ff., auch ebd.:
477). Wer wollte sich da den Erkenntnissen anderer Disziplinen verweigern und hinter
ihnen zurückfallen?
[17] Es gibt einen Zeitraum
verständnissichernder „diachronischer Identität“ (Keller 2014: 132). So
vermittelt sich uns, die stets in der jeweiligen Synchronie kommunizieren, der
Eindruck einer Bedeutungskontinuität, wo in Wahrheit schleichender Wandel
herrscht. Diese ‚diachronische Identität‘ umspannt in der Regel die parallel
lebenden und miteinander im Rahmen kooperativer Prozesse geteilter
Intentionalität (Tomasello) kommunizierenden Generationen – also drei bis vier
Generationen: Wäre es Mitgliedern der ersten und der fünften Generation
möglich, einander zu begegnen, so würde ihnen der Sprachwandel schnell bewusst
werden. Und mit ihm entsprechend auch der Wandel des Gebrauchs des Wortes Kunst und der sich daraus entwickelnden
Begriffe ‚Kunst‘.
[18] Unsere Einbindung in soziokulturelle Systeme und
Strukturen beschreibt keinen fatalistischen Zustand, dem wir hilflos
ausgeliefert sind. Denn diese Systeme und Strukturen fallen ja nicht einfach
vom Himmel, sie sind vielmehr menschengemacht: „Einrichtungen,
die in der Tat das Ergebnis menschlichen Handelns sind, nicht die Durchführung
eines menschlichen Plans“ (Keller 2014: 58). Kollektive, weder intendierte noch geplante kausale
Konsequenzen einer Vielzahl individueller intentionaler Handlungen. Das heißt: Im Kollektiv haben Generationen eben
die Systeme und Strukturen konstituiert und etabliert, in die jeder Einzelne
von uns hineinwächst. So nehmen wir alle (‚alle‘ im Sinne von ‚jeder Einzelne‘)
sowohl am Wandel der so konstituierten und etablierten Systeme und Strukturen aktiv
teil als auch an der Konstitution und Etablierung neuer.
[19] Dazu
siehe auch den Aufsatz des amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz
(1987): Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur
(S. 7 – 43), in: Dichte Beschreibung – Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme,
Frankfurt a.M., Suhrkamp Verlag.
[20] Mein Eindruck ist, dass es sich auch bei der
Sprecher-Intention (H. Paul Grice) um eine Variation der perlocutionary force handelt: A will bei B eine ganz konkrete
Wirkung erzielen. Das heißt in diesem speziellen Fall des Meinens, bei dem ja
gerade keine konventionelle Bedeutung
vorliegt: A will B dazu bewegen, dass B
erkennt, dass A mit Äußerung a beabsichtigt, dass B diese Intention von A
erkennt und dass B erkennt, dass A mit Äußerung a beabsichtigt, indem B diese
Intention von A erkennt. Einen ähnlichen Eindruck scheint mir auch der
belgische Sprachwissenschaftler Mikhail Kissine zu haben. Allerdings unter
umgekehrten Vorzeichen: Er „nennt die vom ihm abgelehnte Strategie der
kommunikativen Sprecherintention die perlokutionäre
Sicht auf Sprechakte“ (Liedtke 2016: 63, Hervorhebung S.O.).
[21] Die Annahme, dass man vom Einfluss dieser
unzähligen ungenannten und unbekannten Äußerungen gänzlich absehen und sich
ausschließlich auf die wenigen vorhandenen historisch relevanten Texte als
Einflussfaktoren reduzieren kann, ist m.E. daher ebenso ins Reich der Mythologien zu verweisen wie zuvor schon die
vier gängigen Prämissen der Ideengeschichte, gegen die sich Skinner in seinem
Aufsatz wandte (cf. Gallus 2019 sowie hier: Kap. 3).
[22] Die
Zuschreibung eines Werks als Kunstwerk durch, zum Beispiel, die Teilnehmer am Kunstmarkt
ist kein verbindlicher Maßstab für die Zuschreibung dessen, was innerhalb einer
Sprachgemeinschaft als Kunst resp. Kunstwerk gilt. Im Kunstmarkt wird nur
verhandelt, was dort als Kunst zu
gelten hat (was viele nicht davon abhält, den Markt mit der Welt zu verwechseln
und die dort gültige Zuschreibung zu verallgemeinern). Nichtsdestotrotz nimmt
natürlich die Zuschreibung durch die Teilnehmer am Kunstmarkt auch Einfluss auf
die Zuschreibung innerhalb einer Sprachgemeinschaft/Kultur/Epoche. Schon allein
deshalb, weil eine Vielzahl der Mitglieder der recht überschaubaren Gruppe
‚Kunstmarktteilnehmer‘ auch Mitglieder der ungleich größeren Gruppe
‚Sprachgemeinschaft‘ sind.
[23] Diese
Beschreibung von Skinner klingt weniger nach John L. Austins Theorie der Sprechakte
als denn nach dem Modell der geteilten Intentionalität von H. Paul Grice (resp.
Michael Tomasello).
[24]
Die Auffassung des deutschen Kunstphilosophen Reinold Schmücker weist in die
gleiche Richtung: „Welche Artefakte zur Klasse der Kunstwerke zählen – die eben
nicht mit der Klasse derjenigen Objekte identisch sein muss, die mir oder
irgendeinem anderen Sprecher als Kunstwerk gelten –, darüber befindet der
allgemeine Sprachgebrauch“ (Schmücker 2001: 18, auch Schmücker 2014: 128ff.).
Auch Karlheinz Lüdeking scheint mir in ähnlicher Weise zu argumentieren. Was
zur Klasse der Kunstwerke gehört, ist „als ein unbeabsichtigtes und
unvorhersehbares Ergebnis all der mannigfaltigen und konkurrierenden
evaluativen Verwendungen des Kunstbegriffs durch unzählige individuelle
Sprecher“ (Lüdeking 1998: 203) zu denken. Es ist als kollektives,
nicht-intendiertes Resultat zahlloser individueller intentionaler
Sprachhandlungen ein Faktum intersubjektiver Gültigkeit. Beide, sowohl
Schmücker als auch Lüdeking, statuieren die Zuschreibung eines Werks als
Kunstwerk als Ergebnis des allgemeinen Sprachgebrauchs, erklären aber nicht, wie
sich das Ergebnis ergibt. Lüdeking beschließt
sogar sein Buch mit der resignativen Feststellung, dass sich diese Frage weder
durch die analytische Philosophie der Kunst noch durch die traditionelle
Theorie beantworten lässt (ebd.: 205). Ein wenig mehr Optimismus wäre aber m.E.
durchaus angebracht, wären sie den einmal eingeschlagenen Weg konsequent weiter
gegangen – Hand in Hand mit der unsichtbaren Hand (cf. Keller 2014 passim, auch:
Oehm 2019b: 137, 182ff., 200) und dem vom Einzelnen ausgehenden handlungstheoretischen
Modell von H.P. Grice.
[25] Rudi Keller übernimmt
Bestimmung und Begrifflichkeit der ‚Komprehension‘ von dem
amerikanischen Philosophen und Logiker Clarence Irving Lewis. Mit ihm nennt er
zudem „die Menge aller existierenden Gegenstände, die unter den Begriff
fallen“, ‚Extension‘, die „korrekte Definition eines Begriffs“ ‚Intension‘
(Keller 2018: 119).
[26] Eine Ansicht, die
zugegebenermaßen nicht sonderlich originell ist. Schon der deutsche
Kunsthistoriker und Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark (*1852, †1914)
vertrat sie in ähnlicher Form („Kunst giebt es in Wirklichkeit gar nicht. Es
giebt nur Kunstwerke.“ [zitiert nach: Hofmann 1977: 78]), ebenso Ernst Gombrich
(„Genau genommen gibt es ‚die Kunst‘ gar nicht. Es gibt nur Künstler.“
[Gombrich o.J.: 11]) oder auch Werner Hofmann („Es gibt keine Kunst, sondern
nur Künste.“ [Hofmann 1980: 317, auch: Hofmann 1977: 105]).