Den
Sündenfall beim Wort genommen
Der Anfang ist bekannt: Gott schuf Himmel
und Erde. Danach stellt sich aber gleich die Glaubensfrage, wird uns doch Widersprüchliches
mitgeteilt: Die erste Schöpfungsgeschichte lässt Mann und Frau am sechsten Tag
gemeinsam entstehen, die zweite, unmittelbar folgende, liefert jedoch eine
gänzlich andere Version. Demnach schuf Gott zunächst nur den Menschen,
hebräisch adam. Ein Name, der sich wortwörtlich
aus dem herleitet, woraus Gott ihn formte: dem Ackerboden, hebräisch adamah.
Damit nahm Gott sprachlich vorweg, was Aufgabe des Menschen wurde: den Boden zu bebauen und bewahren. Eine Aufgabe, die später dann sein Schicksal werden sollte und sprachlich verbindendes Element beider Welten darstellte: Im Auszug aus dem Paradies wurde der Subtext seines Namens geschrieben, musste adam doch nun im Schweiße seines Angesichts eben jenen verfluchten adamah mühsam beackern, der ihm seinen Namen gab.
Damit nahm Gott sprachlich vorweg, was Aufgabe des Menschen wurde: den Boden zu bebauen und bewahren. Eine Aufgabe, die später dann sein Schicksal werden sollte und sprachlich verbindendes Element beider Welten darstellte: Im Auszug aus dem Paradies wurde der Subtext seines Namens geschrieben, musste adam doch nun im Schweiße seines Angesichts eben jenen verfluchten adamah mühsam beackern, der ihm seinen Namen gab.
Gott schuf in Eden, der Ödnis, Steppe,
sumerisch ‚edin’, eine Oase der Ruhe.
Einen Garten, umzäunten Bereich, ein Gehege, awestisch
‚pairidaēza’. Und schuf dort aus adam, dem Menschen, die Männin, die Belebte,
hawwah. Uns besser bekannt als eva.
„Die
Menschen in jenem Garten bekommen alles für ihr Leben Erforderliche zur
Verfügung gestellt; sie müssen sich ihren Lebensraum nicht selbst erobern (...)
Allerdings fordert der geschützte Raum die Anerkennung zunächst ungefragt
geltender Normen“, so der Alttestamentler
Jürgen Ebach in seiner Schrift „Dialektik
der Aufklärung“,
Aber mitten in diese Oase pflanzte Gott
nun die schiere Versuchung, die nach Normverletzung geradezu schreit. Zwei
Bäume, von dessen Früchten der Mensch keinesfalls kosten durfte. Warum tat Gott
das? Hätte er den Menschen von Anfang an ganz
nach seinem Bilde erschaffen, also als fertiges, reines und wahrhaft
gottgleiches, jeder Versuchung widerstehendes Geschöpf, wäre dieser nicht
Gefahr gelaufen, das zu tun, was Menschen nun mal tun, wenn sie Gelegenheit
dazu haben: Sie halten sich nicht an die
Regeln.
Gelegenheit schafft Diebe, sagt der Volksmund.
Kaum anzunehmen, dass Gott, Allah, Adonai, Elohim, Jahwe oder wie auch immer er
genannt wird, dies in seiner unendlichen Weisheit nicht gewusst haben sollte. So
aber schuf er ein Wesen, bei dem er vornherein damit rechnen musste, was schließlich
auch eintrat: dass es seine Gebote missachtet. Self-fullfilling prophecy auf
höchster Ebene.
Wie allzu menschlich Gottes Reaktion dann
doch auf die Missachtung seines Gebotes war: Statt einzusehen, dass er selbst erstens die conditio sine qua non, die Bedingung
der Möglichkeit konstituierte, dass das Befürchtete eintreten konnte, und zweitens, dass er es war, der einen solch
schwachen Menschen schuf, der dieser Versuchung geradezu erliegen musste, zürnte er mit dem Menschen.
Gott lastete ihm an, was er selbst gleich
in doppelter Hinsicht verbockt, verursacht und damit verschuldet hatte. Er machte
das Opfer zum Täter. Und lud ihm seine eigene Schuld auf. Keine Spur von wahrlich
angebrachter Selbstkritik. Stattdessen warf er die Menschen im hohen Bogen aus
dem Paradies. Das ist der eigentliche
Sündenfall: der Sündenfall Gottes.
Tiere können nicht in einem
absichtsvollen, intentionalen Akt Regeln brechen, Grenzen übertreten, Gebote
missachten. Anders als der Mensch, der von Beginn an prinzipiell dazu in der
Lage war. Ansonsten würde Gottes Gebot wenig Sinn machen, nicht von den
Früchten des Baums zu essen. Indem der Mensch aber nun nichts besseres zu tun
hatte, als seine Fähigkeit gleich in die Tat umzusetzen und von der verbotenen
Frucht zu essen, kam ein zweites Moment hinzu: Ihm wurden die Augen geöffnet, er
wurde „wie Gott, wissend um Gut und Böse“.
Damit erwarb er die reflexive Fähigkeit, Gebote nicht einfach nur zu
missachten, sondern auch ihre Gültigkeit zukünftig in Zweifel zu ziehen. Sie in
Frage zu stellen. Nicht einfach als Gott gegeben hinzunehmen.
„Wer
mit dem eigenen Denken begonnen hat, kann sich (...) Ordnungen“, die er
sich nicht selbst gegeben hat, „nur noch
schwer fügen“. So entpuppt sich der Mensch natürlich als potenzielle Gefahr einer
jeden bestehenden, sakrosankten Ordnung: Er ist erwachsen geworden. Findet sich
nicht mehr tumb mit dem Anspruch auf ewige Gültigkeit der Normen und Werte sowie
den entsprechenden Ge- und Verboten ab. Sondern ist nun, zumindest prinzipiell,
in der Lage, selbst zu entscheiden. Eben deshalb, so Jürgen Ebach, ist in dem
Augenblick, in dem der Mensch Gut und Böse erkennt, auch nicht von Sünde oder vom
Sündenfall die Rede: „Es geht um
Autonomie.“ Um Autonomie von jeder Autorität. So auch von Gott.
„Wer
selbst entscheiden will, was gut und was böse ist, für den (...) kann der
geschützte Raum des Gartens Eden nicht länger der passende Ort sein. Darum ist
die Vertreibung (...) keine Strafe. Wer autonom sein will, dem (...) steht die
Welt offen.“
Moral ist von Stund’ an nicht mehr unumstößlich:
Moralvorstellungen können sich wandeln. Sie sind relativ, nicht absolut. Ein
Spiegel der Zeit, der sozialen, familiären, gesellschaftlichen, politischen,
religiösen, ja manchmal sogar der klimatischen Umstände. Oder auch der
Interessenslage weltlicher wie göttlicher Autoritäten. Adam und Eva haben uns
damit ein für allemal die Bedingung der Möglichkeit geschaffen, Gebote zu reflektieren
und relativieren. Sie haben die Herrschaft demaskiert, der Genuss hat ihnen – und
damit uns – die Chance zur Mündigkeit und Freiheit gegeben.
Diese Chance haben wir nur leider schon
viel zu oft vertan: Zu unserer neu gewonnenen Freiheit gehörte auch die Freiheit, sich, aus „Faulheit und Feigheit“, so Kant, wiederum für die Unmündigkeit und damit
die Unfreiheit und Autoritätshörigkeit
zu entscheiden. Und nicht immer nur für das Gute, sondern immer öfter für das
Böse. Was
wir auch prompt bereits vor Menschengedenken
getan haben. Offensichtlich aber ein paar Mal zuviel. Weshalb es Gott reute, dass
er uns erschaffen hat (1. Mose 6,6). Nach mir die Sintflut, dachte er sich.
Aber auch die war, so muss man im Nachhinein wohl sagen, keine wirklich überzeugende
Lösung.
So bleibt einem am Ende nur die ratlose
Frage, die wieder zum Anfang zurückführt: Warum hat Gott bloß diese Baum gewordene
Versuchung ins Paradies gepflanzt? Der Mensch nimmt sich nun mal, was er
kriegen kann, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die die
Möglichkeiten, die sich ihm eröffnen, wird immer irgendwann irgendeiner
ausnutzen. Im positiven wie im negativen Sinn. Das war damals so. Und ist heute
bei Big Data nicht anders.
Schlange hin oder her: Der eigentliche
Verführer war nicht sie, die übrigens, darauf weist Jürgen Ebach hin, im
Hebräischen männlich ist, nicht weiblich. Sie ist klug, hebräisch ‚arum’,
so wie der Mensch nackt, ‚arom’ ist –
die Bibel bedient sich im hebräischen Original hier interessanterweise eines
Wortspiels, wenn sie Adam und Eva einerseits und die/der Schlange andererseits
beschreibt. Der eigentliche Verführer war niemand anderes als Gott selber.
Er hat im vollen Bewusstsein der
Tatsache, dass alles, was möglich ist, irgendwann auch wahr wird, dem Menschen diesen
Baum als selbsterfüllende Prophezeiung vor die Nase gesetzt hat. Die Voraussetzung der Versuchung ist, dass es etwas gibt, das eine Versuchung
darstellt. Gibt es keine Frucht, kann auch keiner von der Frucht naschen. Weiß
keiner von der Frucht, kann auch keiner von der Frucht naschen wollen.
„Ist
dieser Baum von vornherein eine Falle, in welche die Menschen tappen müssen
oder gar sollen?“ fragt Ebach. Ja, vielleicht. Aber warum sollte Gott den
Menschen auf Tauglichkeit prüfen wollen, fast so wie ein Ingenieur in einer
Testreihe sein neuestes Produkt? Das ist doch ein bisschen arg profan und zudem
völlig anthropozentrisch gedacht. Schließlich wurden wir durch den Biss in die
Frucht wie Gott, nicht Gott war’s, der von vornherein war wie wir: menschlich.
Warum also in Gottes Namen?
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