Sonntag, 27. November 2016



Der Herr Karl aus Düsseldorf



Die Stadt Düsseldorf ist“, wie weiland Heinrich Heine völlig zutreffend bemerkte, „sehr schön. Doch manchmal wird einem nun mal, denkt man an sie, recht „wunderlich zu Muthe“. So wie erst kürzlich wieder.

Nach Ansicht des obersten Dienstherrn dieser schönen Stadt, Thomas Geisel, hat der Aufstieg von Demagogen wie Donald Trump oder Marine Le Pen ganz wesentlich damit zu tun, dass die Menschen sich in unserer Gesellschaft abgehängt fühlen und nicht mehr am zivilisierten bürgerlichen Leben teilnehmen können. Da ist wirklich was dran, denkt man sich. Und vernimmt sodann des Geisels verblüffend einfache Idee, wie denn die Teilhabe breiterer Gesellschaftsschichten am zivilisierten bürgerlichen Leben signifikant verbessert und der Aufstieg der Demagogen wenn nicht verhindert, so doch zumindest erschwert werden kann:

Statt 25 Millionen Euro für elitäre Kulturinstitutionen wie das hiesige Schauspielhaus auszugeben, das von gerade mal 182.000 zudem happigen Eintritt zahlenden Besuchern heimgesucht wird, ist es doch viel schlauer, vier Millionen Euro für ein international renommiertes Radsport-Großereignis auszugeben, an dem an einem einzigen Tag über eine Millionen Menschen kostenlos teilhaben können.

Ein schlagendes Argument, denkt sich der staunende Leser, was haben wir doch für einen schlauen Fuchs an der Spitze der städtischen Regierung. Wenn man sich das einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lässt, erkennt man erst das ungeheure Demokratie-stabilisierende Potenzial dieses Vorschlags: Für 25 Millionen bekäme man nach Adam Riese ja mindestens sechs dieser Events gestemmt, an denen dann weit über 6 Millionen Menschen partizipieren könnten. Und das, ohne einen einzigen Pfennig zu zahlen, dazu sich auch noch immer an der frischen Luft bewegend statt beengt in muffigen Zuschauerräumen sitzend.

Wow.

Ein Teufelskerl von OB. Mit seiner spektakulären Blaupause sollte es doch wohl klappen, dass die Menschen wieder am zivilisierten bürgerlichen Leben teilnehmen, sie sich wieder wertgeschätzt und nicht mehr abgehängt fühlen. Da werden diese rechtspopulistischen Nachwuchsdemagogen der AfD aber noch Bauklötze staunen, wie schnell die Menschen ihnen da von der Fahne gehen.  

Entscheidung per Akklamation

Ob Herr Geisel wirklich selber an das glaubt, was er in Interviews der Welt verkündet, ist nicht überliefert. Was er tut, jedoch sehr wohl: Er ersetzt, bewusst oder nicht, Hochkultur durch Eventkultur. Durch Brot und Spiele, wie im alten Rom: die sedierende Bespaßung der Massen.

Nichts gegen Großereignisse. Auch die haben ihren Reiz. Und sogar ihre Berechtigung. Das weiß selbst der hartgesottenste Bildungsbürger spätestens dann, wenn er einmal im Dortmunder Westfalenstadion die Gelbe Wand und ihre Choreografie miterleben durfte. Aber der Versuch, Hoch- und Eventkultur gegeneinander abzuwägen, um hernach eine der beiden, das Schauspiel, für zu leicht zu befinden, ist ein Menetekel. Zeugt es doch nicht von kulturpolitischer Weitsicht, sondern von monoperspektivischer Weltsicht:

Die angemahnte Teilhabe möglichst aller Bürger ist ganz sicher eines der höchsten Ziele, das sich eine zivilisierte Gesellschaft stecken kann. Sie zu erreichen stellt vielleicht sogar den Stein der Weisen dar, nach dem wir alle suchen, um die drohende Spaltung und die damit einhergehende Radikalisierung der Gesellschaft abzuwenden. Aber ist da der Rekurs auf populistische Argumentationsplattitüden, dieser Versuch des Ausspielens der Hoch- durch Eventkultur per Akklamation, der richtige Ansatz?

Mittlerweile folgen schon viele veritable Museen, also klassische Tempel der Hochkultur, besagter „Eventlogik“ (Stephan Berg). Und setzen gezielt auf ‚Blockbuster’. Wobei für diese das Gleiche gilt wie für die Geiselschen Großereignisse: Sie haben a. ihren Reiz und b. ihre Berechtigung. Nur darf ihr Einsatz nicht zum allein gültigen Prinzip gemacht werden. Denn dann übernähme die Logik der Ökonomisierung die Macht. Und würde fürderhin die Spielregeln bestimmen – eben auch die der sogenannten Hochkultur.

Ihre Werke würden zu Produkten, Werte zum Wert mutieren. Gültigkeit hätte hier allein das Prinzip der Verwertbarkeit. Des unmittelbaren Nutzens. Der Zweckgebundenheit. Damit hieße ihr Ideal zukünftig auch: ‚Messbarkeit’. Gezeigt würde einzig, was in einer merkantil dominierten Welt ökonomische Relevanz nachweisen könnte.

Der Politiker als Vox populi

Mit dem Primat der Logik der Ökonomisierung wäre ein entropischer Kulturzustand erreicht. Stromlinienförmig. Uniformistisch. Affirmativ. Ihr Idealbild ist die sich finanziell selbst tragende, widerspruchsfreie, massentaugliche Bespaßungskultur ohne Ecken und Kanten, nicht jedoch die Kultur, die demgegenüber nonkonformistisch, nutzlos, subversiv, diskursiv und reflexiv ist und gerade dadurch stabilisierendes Gegengewicht einer aus dem Gleichgewicht geratenen Gesellschaft sein kann – den Menschen, insbesondere den jungen, gerade diese Kultur nahezubringen hält Gerhart Baum, im schroffen Gegensatz zum Düsseldorfer OB, für "unverzichtbar für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft".

Das ficht Düsseldorfs obersten Dienstherrn aber nicht an. Er stellt stattdessen ganz plump die rhetorische Frage, ob denn, so Dorothee Frings in der Rheinischen Post, „die teure Sanierung eines Theaters dem Willen aller Bürger entspricht“.

Nein, möchte man ihm entgegenschreien, natürlich nicht – aber deine verdammte Pflicht als Demokrat, der um die Unverzichtbarkeit der Kultur für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft weiß, ist es, alles in deiner Macht Stehende zu tun, dass auch dessen Sanierung einmal dem Willen aller Bürger entspricht!

Diese Mühe macht er sich nicht. Er geriert sich lieber als vox populi, als populistische Stimme des repräsentativen Kleinbürgers Herr Karl, den Helmut Qualtinger seinerzeit so einzigartig bitterböse karikiert hat. Und der in diversen Graduationen zurzeit mal wieder fröhlich Urständ feiert. Zuletzt als türkischer Staatspräsident, der, mit der Stimme des Volkes gesegnet, seinen Willen mit „Willen aller Bürger“ erst über-, dann umsetzt, sich so seiner Verantwortung entzieht und, vice versa, den Bürgern alle Verantwortung überantwortet.

Es ist ziemlich platt und abgeschmackt, irgendwelche zweitklassigen Wortspiele mit dem zugegebenermaßen etwas unglücklichen Nachnamen des besagten OB zu machen. Aber er lässt nun wirklich auch keine Gelegenheit aus, sie alle einem so nahe wie nur möglich zu legen, der gute Herr Geisel.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen