Der Herr Karl aus
Düsseldorf
„Die
Stadt Düsseldorf
ist“,
wie weiland Heinrich Heine völlig zutreffend
bemerkte, „sehr schön“. Doch manchmal wird einem
nun mal, denkt man an sie, recht „wunderlich
zu Muthe“. So wie erst kürzlich wieder.
Nach Ansicht des obersten Dienstherrn
dieser schönen Stadt, Thomas Geisel, hat der Aufstieg von Demagogen wie Donald
Trump oder Marine Le Pen ganz wesentlich damit zu tun, dass die Menschen sich
in unserer Gesellschaft abgehängt fühlen und nicht mehr am zivilisierten
bürgerlichen Leben teilnehmen können. Da ist wirklich was dran, denkt man sich.
Und vernimmt sodann des Geisels verblüffend einfache Idee, wie denn die Teilhabe
breiterer Gesellschaftsschichten am zivilisierten bürgerlichen Leben signifikant verbessert
und der Aufstieg der Demagogen wenn nicht verhindert, so doch zumindest erschwert
werden kann:
Statt 25 Millionen Euro für elitäre Kulturinstitutionen wie das hiesige Schauspielhaus auszugeben, das von gerade mal 182.000 zudem happigen Eintritt zahlenden Besuchern heimgesucht wird, ist es doch viel schlauer, vier Millionen Euro für ein international renommiertes Radsport-Großereignis auszugeben, an dem an einem einzigen Tag über eine Millionen Menschen kostenlos teilhaben können.
Statt 25 Millionen Euro für elitäre Kulturinstitutionen wie das hiesige Schauspielhaus auszugeben, das von gerade mal 182.000 zudem happigen Eintritt zahlenden Besuchern heimgesucht wird, ist es doch viel schlauer, vier Millionen Euro für ein international renommiertes Radsport-Großereignis auszugeben, an dem an einem einzigen Tag über eine Millionen Menschen kostenlos teilhaben können.
Ein schlagendes Argument, denkt sich der
staunende Leser, was haben wir doch für einen schlauen Fuchs an der Spitze der städtischen
Regierung. Wenn man sich das einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lässt, erkennt
man erst das ungeheure Demokratie-stabilisierende Potenzial dieses Vorschlags:
Für 25 Millionen bekäme man nach Adam Riese ja mindestens sechs dieser Events
gestemmt, an denen dann weit über 6 Millionen Menschen partizipieren könnten. Und
das, ohne einen einzigen Pfennig zu zahlen, dazu sich auch noch immer an der
frischen Luft bewegend statt beengt in muffigen Zuschauerräumen sitzend.
Wow.
Ein Teufelskerl von
OB. Mit seiner spektakulären Blaupause sollte es doch wohl klappen, dass die Menschen
wieder am zivilisierten
bürgerlichen Leben teilnehmen, sie sich wieder wertgeschätzt
und nicht mehr abgehängt fühlen. Da werden diese rechtspopulistischen
Nachwuchsdemagogen der AfD aber noch Bauklötze staunen, wie schnell die
Menschen ihnen da von der Fahne gehen.
Entscheidung per Akklamation
Ob Herr Geisel wirklich
selber an das glaubt, was er in Interviews der Welt verkündet, ist nicht
überliefert. Was er tut, jedoch sehr wohl: Er ersetzt, bewusst oder nicht, Hochkultur
durch Eventkultur. Durch Brot und Spiele, wie im alten Rom: die sedierende
Bespaßung der Massen.
Nichts gegen
Großereignisse. Auch die haben ihren Reiz. Und sogar ihre Berechtigung. Das
weiß selbst der hartgesottenste Bildungsbürger spätestens dann, wenn er einmal
im Dortmunder Westfalenstadion die Gelbe Wand und ihre Choreografie miterleben
durfte. Aber der Versuch, Hoch- und Eventkultur gegeneinander abzuwägen, um
hernach eine der beiden, das Schauspiel, für zu leicht zu befinden, ist ein
Menetekel. Zeugt es doch nicht von kulturpolitischer Weitsicht, sondern von monoperspektivischer
Weltsicht:
Die angemahnte Teilhabe
möglichst aller Bürger ist ganz sicher eines der höchsten Ziele, das sich eine
zivilisierte Gesellschaft stecken kann. Sie zu erreichen stellt vielleicht
sogar den Stein der Weisen dar, nach dem wir alle suchen, um die drohende
Spaltung und die damit einhergehende Radikalisierung der Gesellschaft
abzuwenden. Aber ist da der Rekurs auf populistische Argumentationsplattitüden,
dieser Versuch des Ausspielens der Hoch- durch Eventkultur per Akklamation, der
richtige Ansatz?
Mittlerweile folgen schon viele veritable Museen,
also klassische Tempel der Hochkultur, besagter „Eventlogik“ (Stephan Berg). Und setzen gezielt auf ‚Blockbuster’. Wobei für diese das
Gleiche gilt wie für die Geiselschen Großereignisse: Sie haben a. ihren Reiz und
b. ihre Berechtigung. Nur darf ihr Einsatz nicht zum allein gültigen Prinzip gemacht
werden. Denn dann übernähme die Logik der Ökonomisierung die Macht. Und würde fürderhin
die Spielregeln bestimmen – eben auch die der sogenannten Hochkultur.
Ihre
Werke würden zu Produkten, Werte zum Wert mutieren. Gültigkeit hätte hier allein
das Prinzip der Verwertbarkeit. Des unmittelbaren Nutzens. Der
Zweckgebundenheit. Damit hieße ihr Ideal zukünftig
auch: ‚Messbarkeit’. Gezeigt würde einzig, was in einer
merkantil dominierten Welt ökonomische Relevanz nachweisen könnte.
Der Politiker als Vox populi
Mit dem Primat der
Logik der Ökonomisierung wäre ein entropischer Kulturzustand erreicht. Stromlinienförmig.
Uniformistisch. Affirmativ. Ihr Idealbild ist die
sich finanziell selbst tragende, widerspruchsfreie, massentaugliche
Bespaßungskultur ohne Ecken und Kanten, nicht jedoch die Kultur, die demgegenüber nonkonformistisch,
nutzlos, subversiv, diskursiv und reflexiv ist und gerade dadurch stabilisierendes
Gegengewicht einer aus dem Gleichgewicht geratenen Gesellschaft sein kann – den Menschen, insbesondere
den jungen, gerade diese Kultur nahezubringen hält Gerhart Baum, im schroffen
Gegensatz zum Düsseldorfer OB, für "unverzichtbar
für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft".
Das ficht Düsseldorfs
obersten Dienstherrn aber nicht an. Er stellt stattdessen ganz plump die rhetorische
Frage, ob denn, so Dorothee Frings in der Rheinischen Post, „die teure Sanierung eines Theaters dem Willen aller Bürger entspricht“.
Nein, möchte man ihm
entgegenschreien, natürlich nicht – aber deine verdammte Pflicht als Demokrat,
der um die Unverzichtbarkeit
der Kultur für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft weiß, ist es, alles
in deiner Macht Stehende zu tun, dass auch dessen
Sanierung einmal dem Willen aller Bürger entspricht!
Diese Mühe macht er
sich nicht. Er geriert sich lieber als vox
populi, als populistische Stimme des repräsentativen Kleinbürgers Herr
Karl, den Helmut Qualtinger seinerzeit so einzigartig bitterböse karikiert hat.
Und der in diversen Graduationen zurzeit mal wieder fröhlich Urständ feiert. Zuletzt
als türkischer Staatspräsident, der, mit der Stimme des Volkes gesegnet, seinen
Willen mit „Willen aller Bürger“ erst
über-, dann umsetzt, sich so seiner Verantwortung entzieht und, vice versa, den
Bürgern alle Verantwortung überantwortet.
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