Ein Gespenst geht um in Europa
"Menschen mit einer vorgefassten Meinung
lassen sich fast nie von gegenteiligen Informationen überzeugen. Fakten dringen
nicht mehr zu ihnen durch – und sie interessieren viele Menschen auch nicht
mehr."
Peter Boudgoust, SWR-Intendant (Interview März 2016)
Peter Boudgoust, SWR-Intendant (Interview März 2016)
Georg Christoph Lichtenberg war ein Meister des
geschliffenen und vor allem des kurzen, prägnanten Wortes. Er konnte, wie kaum
ein anderer, einen geistreichen, scharfsinnigen Gedanken rhetorisch brillant,
ganz pointiert in einem Satz fassen. Wahre Geistesblitze und Gedankensplitter,
kunstvoll in Wortspiele und Anspielungen gebettet, voller Ironie und
intellektueller Tiefe.
Er notierte seine Aphorismen, Kondensate lang
gehegter und gepflegter Gedanken, in Schreibhefte, die er voller Selbstironie
„Sudelbücher“ nannte. Wie prophetisch. Verweist doch dieser Titel inzwischen gänzlich
unironisch auf das Gedankengut, das sein müder, nachlässig zwischen Tür und
Angel dahingeworfener digitaler Abklatsch, der Tweet, derzeit an die Oberfläche
spült: „Twitter“ als Sudelbuch der Moderne.
Leider entblöden sich auch manche Politiker
nicht, mehr auf Tweets denn auf Aphorismen zu setzen. So auch Erika Steinbach. Besagte Sprecherin für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dieses
Medium bereits seit Jahren für sich entdeckt, sich dabei aber leider nicht
Lichtenberg zum Vorbild genommen. Schade eigentlich. Stattdessen reüssiert sie in
regelmäßigen Abständen mit recht sinnfälligen Aussagen. So 2012, als sie sich sprachlich
gewitzt von den Nazis distanzierte, indem sie, schwupps, deren Ansichten in die
Nähe von Rot-Rot-Grün rückte: Sie enttarnte die Nazis als linke Partei, schließlich hieß diese ja
„Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei". Eine fürwahr entwaffnende
Logik.
2014 gelang ihr der nächste Coup, als
sie kurzentschlossen mit einer Argumentation in die Multi-Kulti-Diskussion
eingriff, die an Deutschlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. „Es geht nicht um Islamfreundlichkeit, sondern
um Menschenfreundlichkeit. Koran ist nicht frauenfreundlich, damit nicht
menschenfreundlich." Punkt. Aus. Ende der Diskussion. Eine kategorische
Absage an jeden überkonfessionellen Dialog durch die Sprecherin für
Menschenrechte.
Vor kurzem
überraschte sie die Öffentlichkeit mit einem neuen Meisterwerk, in dem sie das
Elend Hunderttausender, ihre Flucht und Vertreibung, mit der Horrorvision
maximaler Überfremdung, dem Verlust
abendländischen Identität und dem endgültigen Ende unserer Lebensqualität
kontrastierte. Damit bedient sie sich bewusst eingängiger Stereotypen, die sich
im Netz wie bei einer Polymerase-Kettenreaktion
in kürzester Zeit tausendfach kopieren:
„Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach hat mit einem Tweet öffentliche
Empörung ausgelöst. Steinbach hatte am Wochenende auf Twitter unter der
Überschrift "Deutschland 2030" ein Foto von einem kleinen blonden,
hellhäutigen Kind geteilt, das von dunkelhäutigen Menschen umringt wird. Unter
dem Bild steht: "Woher kommst du denn?". (ZEIT, 28.02.2016)
Dankenswerterweise
weist die ZEIT noch darauf hin, dass dieses Foto im Netz nicht allzu neu ist.
„Unter anderem findet man es auf der Seite der rechtsradikalen Plattform
volksbetrug.net.“ Zufall? Vielleicht. Selbst Kardinal
Woelki wurde es zu viel. Das schüre nur Ängste und spalte die Gesellschaft, so
Woelki. Diese Entgleisung „spricht Steinbachs Amt als menschenpolitische
Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion Hohn“. Wie wahr.
Die Drohkulisse der
Überfremdung. Sie ist ein Appell an niedere Instinkte, bedient archaisch-dumpfe
Urängste vor dem Fremden, Anderen, Unbekannten. Vergessen ist, dass die
Geschichte der Bibel selbst eine Geschichte der Flucht und Vertreibung ist. Adam
und Eva. Noah. Abraham. Jakob. Josef. Mose. Maria, Josef und Jesus. Alles Fremde
in der Fremde. Ohne Heimat, bestenfalls geduldet. Flucht und Vertreibung allenthalben,
eine ‚Flüchtlingsinvasion’ von
konstituierender Bedeutung für unser christliches Selbstverständnis.
Wie lautet der Komplementärbegriff zu „Überfremdung“? Reinheit. Der Nation. Des Volkes. Der Ethnie. So raunt es derzeit ausgerechnet im erzkatholischen Polen. In Ungarn. Tschechien. In der Slowakei. Und auch schon wieder hier, bei uns. Es wird nicht mehr nur sprachlich ausgegrenzt, sondern auch wortwörtlich. Kein muslimischer Fuß auf deutschen Boden. Und der nächste Schritt? Die Geschichte lehrt uns, dass die Kennzeichnung des Fremden eine Variable ist, die je nach Gemengelage mit der Gruppierung besetzt wird, die gerade opportun ist. Heute ist es der Moslem, morgen der Rom. Dann lässt der ewige Jud’ auch nicht mehr lange auf sich warten. Und die Verfasser solcher Zeilen, Gutmenschen, Nestbeschmutzer, Vaterlandsverräter, hat manch einer sicher auch schon im Visier.
Um das zu wissen, genügt bereits ein kurzer Blick in die diversen Foren Asozialer Medien. Hier werden wieder einmal in unschöner Tradition simplifizierende, herrlich eingängige Gegensätze gepredigt. Wir, ihr. Deutsch, undeutsch. Gut, böse. Denn „jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten hat.“ Und weiter: „Damit wird ihre rein geistige Höhe um so tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende Masse der Menschen sein soll.“ Vielsagende Einsichten eines gewissen Herrn Hitler.
Wer angesichts der
unleugbar dramatischen Entwicklung auf der Balkanroute statt im Sinne
christlicher Nächstenliebe zu handeln die christlichen
Werte bedroht und sogar – Spengler lässt grüßen – den Untergang des gesamten christlichen Abendlandes kommen sieht, sollte,
falls er sich nicht doch den „Beschränktesten“ zurechnet, für die Hitler seine
Blaupause der Manipulation entwarf, einmal kurz innehalten, um sich als mündiger
Christ mit Kant und Bloch zu fragen: Wo komme ich her? Die Orientierung sollte
ihm nicht schwerfallen: ex oriente lux. Aus dem Osten kam das Licht, die
Erleuchtung, das Christentum. Christus, gepriesen von der Welt, die Gestalt
annahm in den magoi apo anatolon, den drei Weisen aus dem Morgenland.
Wir sollten sensibel
sein. Viel zu viele höhlen gerade zentrale christliche Werte und Begriffe demagogisch
aus. Laden sie völkisch auf, widmen sie um, missbrauchen sie für ihre Zwecke.
Sie inszenieren eine Drohkulisse, bei der das imposante Bühnenbild einer Gefahr
für abendländische Kultur und Hemisphäre gerade groß genug ist, um darin die
reale, völlig nachvollziehbare Angst des besorgten Bürgers um sein
überschaubares Umfeld zu betten. So bekommt die ganz persönlich empfundene
Bedrohung jedes Einzelnen seine angemesse Dimension, speist sie sich doch nun
mal aus der Überhöhung. Übersteigerung. Mystifizierung. Sie wird so lange
irrationalisiert, bis keine rationalen Argumente mehr verfangen.
Auch nicht in der Mitte der Bevölkerung. Also bei all denen, die sich reflektiert genug wähnen, um vor einer derartigen Instrumentalisierung gefeit zu sein. Zu denen sich sicherlich auch jene CSU-Lokalpolitiker aus dem bayrischen Zorneding zählen, die Ende letzten Jahres einen deutschen Pfarrer kongolesischer Abstammung rassistisch beleidigten. Auch ihnen, wie Frau Steinbach, sei im Vertrauen gesagt: Wer fremdenfeindliche Klischees bedient, schwächt sich selbst. Und stärkt die Extreme. Die leidvolle Bestätigung dieser historischen Erfahrung durfte gerade eben erst der slowakische Ministerpräsident Fico, ein Sozialdemokrat übrigens, machen. Das Ergebnis seiner Strategie: Marian Kotleba, der Chef der offen faschistischen LSNS, der sich von seinen Anhängern ganz ungeniert ‚Führer’ nennen lässt, zieht mit 8% ins Parlament ein. Glückwunsch.
Auch nicht in der Mitte der Bevölkerung. Also bei all denen, die sich reflektiert genug wähnen, um vor einer derartigen Instrumentalisierung gefeit zu sein. Zu denen sich sicherlich auch jene CSU-Lokalpolitiker aus dem bayrischen Zorneding zählen, die Ende letzten Jahres einen deutschen Pfarrer kongolesischer Abstammung rassistisch beleidigten. Auch ihnen, wie Frau Steinbach, sei im Vertrauen gesagt: Wer fremdenfeindliche Klischees bedient, schwächt sich selbst. Und stärkt die Extreme. Die leidvolle Bestätigung dieser historischen Erfahrung durfte gerade eben erst der slowakische Ministerpräsident Fico, ein Sozialdemokrat übrigens, machen. Das Ergebnis seiner Strategie: Marian Kotleba, der Chef der offen faschistischen LSNS, der sich von seinen Anhängern ganz ungeniert ‚Führer’ nennen lässt, zieht mit 8% ins Parlament ein. Glückwunsch.
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