Neues aus der
Aggressionsforschung:
Erdogan vs. Böhmermann
Erdogan vs. Böhmermann
§ 103 StGB. Ein recht antiquiert anmutender
Paragraph zum Tatbestand der Majestätsbeleidigung.
Vergessener Rest obrigkeitsstaatlicher Justiz, 1871 im deutschen Reich
eingeführt. Er soll, so das heutige Rechtsverständnis, die „Ehre ausländischer Staaten als kollektives
Rechtsgut“ und damit „allein das Interesse der Bundesrepublik
Deutschland an einem Mindestbestand funktionierender Beziehungen
zu ausländischen Staaten“ schützen (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Wolfgang Wohlers/Walter Kargl, Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2013, § 103 StGB, Rn.4).
Damit stellt sich die grundsätzliche Frage,
ob, wenn ein ausländische
Staatsoberhaupt allein als Person und nicht als Vertreter eines
ausländischen Staates beleidigt wird, überhaupt eine Strafbarkeit nach § 103
StGB vorliegt – die persönliche Beleidigung ist lediglich eine Strafbarkeit nach
§ 185 StGB.
Zudem handelt es sich bei § 103 StGB um einen Paragraphen, der ein Stück weit den grundgesetzlich
verankerten Gleichheitsgrundsatz berührt. Denn die Strafandrohung für die
Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter wird hier weit höher angesetzt als
die normal sterblicher Bürger: Alle Menschen sind gleich, aber ausländische
Potentaten sind gleicher.
Auch muss bei diesem Relikt des reichsdeutschen
Justizwesens die Frage erlaubt sein, ob der Grundsatz der Gewaltenteilung gewahrt
wird, da hier, ein singulärer Fall im deutschen Strafrecht, die Regierung einer
Strafverfolgung zustimmen muss. Sollte es nicht vielmehr so sein, dass der
Exekutive, in guter rechtsstaatlicher Tradition, keine wie auch immer geartete
Entscheidungshoheit über die Judikative zusteht?
Auch lässt sich nicht verhehlen, dass der
türkische Staatspräsident sich ja hier nicht einfach nur auf sein gutes Recht
beruft, sondern durch seine demonstrativ öffentliche Intervention ganz bewusst
und gezielt in die inneren Angelegenheiten eines anderen, souveränen Staates einmischt.
Etwas, was sich der Unsouverän vom Bosporus im umgekehrten Fall bereits bei deutlich
nichtigeren Anlässen in unschöner Regelmäßigkeit ausdrücklich verbeten hat.
Wie auch immer man zu dem Niveau von Herrn Böhmermann im Allgemeinen und der Neo Magazin Royale Sendung vom 31. März im Besonderen stehen mag: Der möglicherweise justiziable Sachverhalt, um den es hier geht, ist die beleidigende Darstellung von Erdogan. Eine klassische Verbalinjurie. Mehr zunächst einmal nicht. In ihr sieht ein stellvertretender türkischer Ministerpräsident aber ein ‚schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit’. Wenn Ihnen der Wortlaut dieser Anklage irgendwie bekannt vorkommen sollte – er tauchte erstmals in den Nürnberger Prozessen auf.
Dort ging es um einen einzigartigen Sündenfall in der an Sündenfällen nicht armen Menschheitsgeschichte: den Holocaust. Die rassisch motivierte, systematische und geradezu industrielle Vernichtung menschlichen Lebens. Böhmermanns schnöde Majestätsbeleidigüng auf Augenhöhe mit der entmenschlichten Tötungsmaschinerie apokalyptischen Ausmaßes, dem genozidalen Furor der Nationalsozialisten? Naja.
Man sollte besagten türkischen
Regierungsvertreter, der diese Aussage sicherlich im besten Einvernehmen mit
seinem obersten Dienstherrn getätigt hat, in stiller Stunde einmal höflich zu
verstehen geben, dass ihm da nicht nur die Verhältnismäßigkeiten arg
durcheinander geraten sind – nein, mit diesem sprachlichen Lapsus hat er das
unaussprechliche Leid der Millionen Juden, Roma und Sinti, die in den
Gaskammern von Treblinka, Sobibor oder Birkenau ihr Leben ließen, auf das
Niveau einer Verbalinjurie herabgezogen.
Es ist fast müßig, noch einmal darauf
hinzuweisen, dass Herr B. seine Schmähkritik, vorgetragen in einem deutschen
Spartensender, kontextuell eingebettet hat: In einem pädagogisch-satirischen
Exerzitium sollte Herrn E. vor Augen geführt werden, was „in Deutschland, in Europa ... von der Kunstfreiheit, von der
Pressefreiheit, von der Meinungsfreiheit“ gedeckt ist. Und was eben nicht
mehr.
Justiziable „Schmähkritik“, eingehüllt in den Mantel der Satire. Ein Disclaimer
als Stilmittel, um besagten Herrn E. als einer herausragenden Person der
Zeitgeschichte die Freiheit – und auch ihre Grenzen – vor Augen zu führen, die
in einer pluralistischen, rechtsstaatlichen, demokratischen Gesellschaft nicht
nur Kunst und Presse, sondern jedem Bürger als Grundrecht zusteht. Ein Grundrecht,
das mühsam errungen wurde. Und das es zu verteidigen gilt. Auch für die, deren
Meinung man ganz und gar nicht teilt. Also im Zweifelsfalle auch für Herrn E. und
seine Meinung.
Eine Rechtsnorm, die für alle modernen
Zivilisationen verbindlich sein sollte. Für uns ebenso wie für Ungarn, Polen
oder mögliche europäische Beitrittskandidaten.
Die Meinungen anderer auszuhalten, kann
einem schwerfallen. Manchmal sogar sehr schwer. Das zeigt sich in diesen Tagen gerade
wieder. Damit hat Erdogan, der sich in seiner selbstherrlichen Attitüde wie ein
absolutistisch herrschender, osmanischer Sultan geriert, jedoch nichts am Hut. Nicht
in seinem eigenen Land, wo er mittlerweile fast 2.000 Bürger mit Beleidigungsklagen
überzogen hat. Aber auch nicht in Deutschland.
Ja – warum eigentlich nicht? Was kümmert es die großtürkische
Eiche, wenn sich eine kleine deutsche Sau dran reibt? Warum hat sich weiland der
altehrwürdige Ayatollah Khomeini, der entrückte Führer der Schiiten, auf das aus
seiner Sicht nichtswürdige, erbärmliche Niveau eines Ungläubigen, auf Rudi
Carrell herabgelassen?
Warum greift seine Majestät Recep Tayyip Erdogan bereits nach der Extra 3-Parodie zu einem der schärfsten diplomatischen Mittel, der Einbestellung des Botschafters? Und warum geht der große Erdogan gegen einen Kleinkünstler namens Böhmermann vor und verhilft ihm so zu weltweiter Bekanntheit? Erdogan vs. Böhmermann – welch anachronistische Differenz.
Warum greift seine Majestät Recep Tayyip Erdogan bereits nach der Extra 3-Parodie zu einem der schärfsten diplomatischen Mittel, der Einbestellung des Botschafters? Und warum geht der große Erdogan gegen einen Kleinkünstler namens Böhmermann vor und verhilft ihm so zu weltweiter Bekanntheit? Erdogan vs. Böhmermann – welch anachronistische Differenz.
Eine ‚Beleidigung’ ist nach deutschem Strafrecht ein ‚Ehrdelikt’, das durch die Äußerung einer
ehrenrührigen Behauptung begangen
wird. Es ist ein Angriff auf die Ehre
einer anderen Person, auf seine personale Würde und seinen legitimen Anspruch,
seinem Wert als Mensch entsprechend behandelt zu werden.
Nur hat für uns in Deutschland die ‚Ehre’ heute eine etwas andere
Konnotation als, zum Beispiel, in Südamerika, Albanien, Serbien oder eben der
Türkei. Dabei geht es bei der ‚Ehre’ generell immer um zwei Seiten: Auf der
einen Seite um mein ‚Selbst’, also meine
Selbstachtung, mein Selbstwertgefühl und mein Selbstbild.
Auf der anderen Seite geht es um die
Zuschreibung durch andere. Also um mein Außenbild. Um Gruppenzugehörigkeit.
Anerkennung. Status. Und Prestige. Der Kassler Historiker Winfried Speitkamp
weist darauf hin, so Andreas Frey in einem Artikel in der F.A.S., dass gerade
eine Person, die „sich stark über eine
Gruppenzugehörigkeit und das Außenbild definiert, ... besonders anfällig für
Beleidigungen“ ist.
Bezeichnenderweise reagieren solche
Personen, wenn sie bei ihrer Ehre gepackt werden, sehr aufgebracht, zeigen
deutlich erhöhte Cortisol- und Testosteron-Werte, sind aggressiv und gewaltbereit. „Nicht zufällig
fällt das Phänomen Beleidigung in der Psychologie unter die Rubrik
Aggressionsforschung“, wie Andreas Frey in seinem lesenswerten Artikel
anmerkt.
Ein Apercu, der diese Auseinandersetzung
mit einem mal in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.
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