Die Crux mit der Unumkehrbarkeit
der Zeit
Man kann
nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Diese Erkenntnis ist spätestens seit Heraklit ein alter Hut. Aber selbst
alte Hüte können ja durchaus, wenn man sie denn bei passender Gelegenheit erneut
in den Ring wirft, für einen überraschenden Erkenntnisgewinn sorgen. So auch
bei diesem schon tausendmal gehörten, recht abgedroschen klingenden Aphorismus,
der sich, ähnlich wie ‚Carpe diem’, ‚Gnothi sauton’ und andere antike
Weisheiten, seit Jahr und Tag größter Beliebtheit auf den diversen Kalenderblättchen
insbesondere geistlicher Provenienz erfreut.
Die ‚Zeit’
ist eine solche Gelegenheit. Sie gab es nicht immer schon, sondern wurde erst
im Urknall mit dem Raum konstituiert. In einer für uns unvorstellbaren,
überlichtschnellen kosmischen Inflation aus der Singularität heraus. Dem einen
Punkt als Ausgangspunkt von allem. Seit diesem Moment ist erst Zeit: als ewiges
Kontinuum. Panta rhei. Alles fließt.
Wie eben auch die Zeit. Und zwar in eine Richtung. Eindeutig, unerbittlich,
unumkehrbar, unwiederholbar.
Was nun wie ein rein theoretisches Gedankenspiel
eines mittelklassigen philosophischen Exerzitiums anmutet, entpuppt sich bei
näherer Betrachtung der Konsequenzen, die sich aus dieser Faktenlage ergeben,
als heikle Erkenntnis. Schürt sie doch Zweifel an der Gültigkeit einer der hehrsten
Maximen der positiven Wissenschaft par excellence – der Naturwissenschaft: die
der Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Aussagen, Analysen, Messungen und
Experimente.
Nur dann, wenn ein Ergebnis auch reproduzierbar
ist, wenn also ein Experiment unter exakt
den gleichen Bedingungen wiederholt werden kann, kann es Glaubwürdigkeit
erlangen. Und im Idealfall auch Gültigkeit. Wird nun aber die Zeit als unumkehrbar definiert, ist es a priori
ausgeschlossen, dass sich ‚Zeit’
wiederholen lässt. Mithin ist es, da sie ja nun mal eine der wesentlichen, wenn
nicht sogar die Grundanforderung schlechthin
darstellt, logisch ausgeschlossen, dass sich ein Experiment unter den exakt gleichen Bedingungen wiederholen lässt.
Wie aber soll ein wissenschaftliches Ergebnis
Gültigkeit erlangen, wenn ihre Grundanforderung prinzipiell nicht erfüllbar ist?
Mit solchen profanen Fragen hält sich die exakte Naturwissenschaft
nicht gerne und schon gar groß auf. Sie ignoriert nach besten Wissen und
Gewissen ihre eigenen Prämissen. Ignoriert das Wesen der Zeit. Und erklärt ihre
Ergebnisse mit großem Ballyhoo für gültig. Was juckt einen da schon solch eine lässliche
logische Ungereimtheit, wenn doch Plausibilität und Praktikabilität der ungezählten
atemberaubenden wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 120 Jahre völlig
außer Frage stehen?
Gar nicht – ja: muss es auch nicht. Vorausgesetzt,
die Wissenschaft ist sich dieser, und damit ihrer eigenen, grundsätzlichen und
niemals aufzulösenden Beschränktheit in jedem Moment ihrer Forschung demütig
bewusst. Und wähnt sich deshalb bestenfalls von Zeit zu Zeit im Besitz einer
relativen, nie aber einer ewigen, endgültigen, absoluten Wahrheit. Eine Einsicht, die übrigens
auch den immer zahlreicher werdenden Vertretern der diversen radikalkonservativen,
reaktionären und autoritären Strömungen, sei es politischer, religiöser oder
esoterischer Couleur, die derzeit weltweit ihr Unwesen treiben, gut zu Gesicht
stehen würde.
Andererseits können letztere aber etwas, was Naturwissenschaftlern verwehrt bleibt: Sie können die Zeit umkehren...
Andererseits können letztere aber etwas, was Naturwissenschaftlern verwehrt bleibt: Sie können die Zeit umkehren...
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