‚public preposition’:
Gedanken zu Mischa Kuballs künstlerischen Interventionen
Gedanken zu Mischa Kuballs künstlerischen Interventionen
Präpositionen verbinden Sachverhalte. Und
bezeichnen ein kausales, modales, zeitliches oder auch räumliches Verhältnis
zwischen ihnen. Wörtlich bedeutet ‚Präposition’ „das Voran-Stellen“. Was im
Deutschen allerdings de facto nicht immer gegeben ist, wodurch sich, nimmt man die
Präposition beim Wort, reichlich paradoxe Konstellationen ergeben können. So
zum Beispiel, wenn sich eine ‚Prä-Position’,
vielleicht der Einfachheit halber,
hinten anstellt. Und damit zur ‚Post-Position’
wird.
Manche Prä-Positionen
haben wiederum, vermutlich um des
lieben Friedens willen, ein
ausgesprochen umfassendes Verhältnis zu einem Sachverhalt. Diese hören dann sinnigerweise
auf den Namen ‚Zirkum-Positionen’.
Besonders bunt treiben es ambivalente Vertreter
ihrer Art, die sich einfach nicht entscheiden können, ob sie nun Prä- oder Post- sein sollen, sprich: ob sie entlang dieses Weges oder aber diesen Weg entlang gehen sollen. Weshalb sie konsequenterweise ‚Ambi-Positionen’ genannt werden.
Sonderlich flexibel ist die Präposition, engl. ‚preposition’, nicht – sie lässt sich nicht
flektieren. Aber sie beugt sich auch nicht. Sondern steht fest. Sagt, was der
Fall ist. Regiert mit unerschütterlich grammatikalischer Wucht den Genetiv,
Dativ oder auch mal den Akkusativ. Und bezieht Position. Was, da sie zweiwertig
ist, immer auch heißt:
Etwas/Jemand bezieht Position zu etwas.
Damit ist, strukturell gesehen, der Kern der künstlerischen
Arbeit Mischa Kuballs beschrieben, die er mit einer durchaus heterogenen Gruppe
von Interventionen im öffentlichen Raum, seit 2009 expressis verbis als ‚public preposition’
bezeichnet, verfolgt: Er setzt sich ‚kausal, modal, zeitlich oder auch räumlich’
mit Sachverhalten auseinander. Und dies eben nicht
‚private’, „im Schutz (der eigenen) vier Wände“, die für uns „einen Schutz gegen die Welt, und zwar gerade
gegen die Öffentlichkeit der Welt“ darstellen, so Hannah Arendt 1958 in
ihrer Rede „Die Krise in der Erziehung“,
sondern öffentlich, ‚public’.
Arendt machte deutlich, dass die moderne Gesellschaft sukzessive „den Unterschied zwischen Privat und
Öffentlich“ abschafft, also „zwischen
dem, was nur im Verborgenen gedeihen kann, und dem, was im vollen Licht der
Öffentlichkeit allen anderen gezeigt werden muss“. Sie schiebt „zwischen Privat und Öffentlich eine
gesellschaftliche Sphäre“ ein, „in
welcher das Private öffentlich und das Öffentliche privatisiert wird“.
Die Realität scheint Arendt überholt zu haben. Von
einer gesellschaftlichen Sphäre des Übergangs
zwischen Privat und Öffentlich kann kaum mehr die Rede sein. Die Grenzen sind
zunehmend fließend und damit flüchtig geworden. Das Öffentliche bemächtigt sich
des Privaten, überformt es, so dass das Private mehr und mehr im Öffentlichen
aufgeht. Eins wird. Ein sichtbares
Zeichen, geradezu Stein gewordenes Menetekel dieser radikalen Konsequenz, ist
der Campus, den Frank Gehry für Facebook im Silicon Valley dieser Tage in die
Landschaft gesetzt hat.
Niklas Maak beschreibt in einem Beitrag für die F.A.S.,
was sich Seltsames dort, innerhalb des größten Großraumbüros der Welt, ereignet:
Es gibt „zimmergroße Häuser und schmale
Straßen. Das Innere ist wie eine Stadt angelegt, mit unterschiedlichen Vierteln“.
Auch finden sich „Zwitter aus
Wohnzimmer und Straßenecke“, die, so Maak, ein gutes Bild „für die weitgehende
Auflösung alter Kategorien des Privaten und Öffentlichen, des Innen und Außen“
abgeben.
Die Luft ist innen, natürlich, so wie die außen.
Und das Licht, das durch die Skylights fällt, wirkt „wie das auf einer Lichtung“. Das Dach wird zu einer „symbolischen Aufbruchslandschaft“,
wandeln dort die Mitarbeiter doch unter Bäumen in der perfekten Illusion eines natürlichen
Terrains, monadisch eingebunden in ein in sich „geschlossenes ökonomisches Ökosystem“.
Diese Auflösung der Grenzen zwischen
Privat und Öffentlich, nicht zuletzt forciert durch die mancherorts nahezu
vollständig gelungene Besitzergreifung der privaten Sphäre durch soziale Medien,
führt dazu, dass sich heute „die Charakterisierung eines Raumes als
öffentlich ... stark ausdifferenziert hat“ (Vanessa Joan Müller). Ja, sie läuft letztlich auf die
Nivellierung der Komplementäre dieser Dichotomie und damit der Lebensformen
hinaus. Wo alles eins ist, ist alles gleich. Da herrscht spannungsloses Gleichgewicht,
nichts ist mehr im Fluss. Panta rhei hat hier ausgedient.
Ohne Grenzen, das heißt auch: ohne ein
gegeneinander abgegrenztes Privat und Öffentlich, sind spezifische Grenzerfahrungen
nicht mehr möglich. Das Licht der Öffentlichkeit kann nicht mehr gesucht
werden, weil es schlicht keine Öffentlichkeit im eigentlichen Sinne mehr gibt.
Kuball bricht diese schleichende Entwicklung
in seinen kontextspezifischen,
oftmals temporär angelegten Interventionen für einen
Moment auf, kreiert so an historisch
oder sozial aufgeladenen Stätten die Dichotomie von Privat und Öffentlich neu:
Diese Bruchstellen, Grenzlinien, geben uns unseren vertrauten, geschützten Rahmen
des Privaten wieder, eröffnen einen
neuen Raum für das Verborgene, den jeder, privatissime, mit seinen ganz
persönlichen Gedanken, Wünschen, Erinnerungen, Assoziationen füllen kann. Vice
versa definieren sie aber auch gleichzeitig eine Form von Öffentlichkeit, in
der und zu der wir Stellung, Position,
beziehen können.
Mit diesem Aufbruch übernimmt Kuball im
Sinne Arendts Verantwortung für die Welt, zeigt so ‚Autorität’ und
emanzipatorische Kraft. Im „Bereich des
Politischen“ heißt das: Eingreifen. Ändern. Neues erschaffen. Er betreibt
damit in der Tat „Lichtpolitik“, wie
es Peter Weibel und Peter Sloterdjik genannt haben. „Um die Welt ... im Sein zu halten, muss sie dauernd neu eingerenkt
werden.“ Dieses Arendtsche Diktum macht sich Kuball zu eigen, wenn er mit seinen Interventionen Stellung bezieht,
um Stellungnahmen zu evozieren, ja: zu provozieren. In aller Öffentlichkeit.
Coram publico. Als ‚public preposition’.
www.public-prepsoition.net
Mischa Kuball sucht gezielt die diskursive
Auseinandersetzung. Zwingt Zuschauer, Zuhörer, Vorbeieilende, sich auf seine ‚Voranstellungen’ einzulassen. So dringt er
in der Arbeit „New Pott“ vorsätzlich in den explizit privaten Raum ein und macht
ihn öffentlich. Kühles Licht bringt er mit, Licht, das nicht einfach nur den
Raum erhellt, sondern auch erhellende Wirkung
auf den Geist hat, und, so Kuball in einem Gespräch mit Hannes Langbein, „den privaten Raum als eine Bühne für das
öffentliche Sprechen vorbereitet“, ihn damit gleichsam als öffentlichen
Raum definiert.
Licht ist für ihn Projektionsfläche der eigenen
Gedanken und Assoziationen, die Menschen bringen dabei „die Fragen dieser Welt ... in diese Arbeiten ein.“ Das ist beim
Projekt „white space“ in Leipzig anlässlich des 25. Jahrestags der Friedlichen
Revolution ebenso der Fall wie bei dem Projekt „Ghosttram“ in Katowice:
Eine weiß gestrichene, von innen grell
beleuchtete Straßenbahn fuhr eine Woche lang auf Erinnerungsspuren durch Katowice
und umliegende Städte, verband historische Orte, gemahnte an Stätten, die
längst vergessen waren, förderte in dieser vom Strukturwandel erfassten
Montanregion verschüttete Erinnerungen zutage. Die Arbeit funktionierte dabei „wie ein öffentlicher Container ... in den
etwas hinein projiziert wird“.
„refraction
house“ in der Synagoge Stommeln hatte 1994 die wohl stärkste symbolische
Suggestivkraft. So wie die Juden in den unseligen Zeiten des Naziterrors im
Lichte der Öffentlichkeit eliminiert und aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen
wurden, so wurden die Besucher hier ausgeschlossen. Gleißendes Licht durchdrang
die Nacht, stellte jeden Besucher ins grelle Licht der Scheinwerfer wie die
Juden bei ihren verzweifelten Fluchtversuchen aus den Konzentrationslagern. Ein
Entkommen war nicht möglich.
Kuball versteht sich bei seinen Interventionen ein
Stück weit als agent provocateur, als Katalysator, der die Menschen durch seine
Eingriffe „aus der Verborgenheit der
Privatsphäre“ emanzipieren, sie „dem
Licht der Öffentlichkeit“ (Arendt) aussetzen will. Der damit Partizipation
ein- und öffentliche Reaktionen herausfordert. Anteilnahme
hervorruft. Prozesse beschleunigt. Und veränderte
Wahrnehmungen „bekannt scheinender
urbaner Kontexte“ evoziert. Die Betrachter werden ergriffen, in die
Handlung als Handelnde einbezogen, Gespräche verwickelt und Kontexte verwoben.
Die Stadt wandelt Kuball zur offenen Bühne. Ganz
explizit im Projekt „public stage“.
Er zerrt dort die passiv partizipierenden Zuschauer geradezu aus ihrer Privatheit,
aus ihren Gedanken in und an die Öffentlichkeit. Drängt sie zur aktiven
Teilnahme. Zur Stellungnahme. Teilhabe. Beteiligung. Eröffnet mit ihnen einen
öffentlichen Diskurs im de facto öffentlichen Raum. Das heißt: draußen, im räumlich gesehen öffentlichen Raum. Und dies
eben entlang des Spannungsfelds der seismischen Bruchlinien seiner künstlerisch
konstituierten sozialen Dichotomie
von Privat und Öffentlich.
Es sind Interventionen, die soziale Prozesse in
Gang setzen sollen, aber eigentlich „Einladungen
und Impulsgeber an ein nicht spezifiziertes Publikum“ sind, so Vanessa
Joan Müller in einem Beitrag zu Mischa Kuball, „das
sich tendenziell beliebig erweitern kann, in eine bestimmte politische,
urbanistische, ästhetische, gesellschaftlich relevante oder historische Debatte
einzusteigen und diese durch Partizipation, Interaktion und Diskussion zu
intensivieren. Es gibt kein angestrebtes Ergebnis, meist noch nicht einmal
einen moderierten Prozess. Letztlich ist „public preposition“ eine Offerte,
sich seiner selbst als souveränes Subjekt seiner Position in einer immer
komplexer werdenden Stadtgesellschaft gewahr zu werden.“
Man darf
gespannt sein, wie lange sich in Zeiten der Auflösung sozialer Kategorien ein
solch unspezifisches Momentum aufrechterhalten lässt. Oder ob nicht dereinst aus
der ‚public preposition’ eine klare ‚public position’ werden muss.
public
preposition
2009 – 2015
Mischa Kuball
DISTANZ Verlag 2015
Hrsg. Vanessa Joan Müller
Bildnachweis:
Mischa Kuball
Refraction house (1994)
Synagoge Stommeln
Foto: Hubertus Birkner, Köln
Mischa Kuball
Refraction house (1994)
Synagoge Stommeln
Foto: Hubertus Birkner, Köln
© Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG
Bild-Kunst Bonn 2016
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