Vom Blockwart zum Blogwart
„Blockwart“.
Sagt Ihnen der Begriff noch etwas? Laut Wikipedia war er der Blockleiter der NSDAP, zuständig „für 40 bis 60 Haushalte (...) mit
durchschnittlich rund 170 Personen“. Er hatte seine „arische Abstammung bis zum Jahre 1800 nachzuweisen“ und „war zu vorbildlichem Verhalten auch im
Privatleben angehalten". https://de.wikipedia.org/wiki/Blockleiter#Bezeichnung_.E2.80.9EBlockwart.E2.80.9C
Seinen Aufgabenbereich beschrieb das Hauptschulungsamt der NSDAP wie
folgt: „Der Hoheitsträger muss sich um alles kümmern. Er muss alles
erfahren. Er muss sich überall einschalten.“ Dazu gehörte insbesondere, dass er in seinem
unmittelbaren Umfeld für die unbedingte und kompromisslose Durchsetzung der
nationalsozialistischen Rassenpolitik verantwortlich zeichnete.
So hatte er unverzüglich „Judenfreunde“, also Volksschädlinge der
übelsten Sorte, zu melden, listete jüdischen Besitz und jüdische Wohnungen auf
und achtete mit heiligem Eifer darauf, dass alle Vorschriften, die für die
jüdischen Untermenschen galten, von diesen auch aufs Genaueste befolgt wurden.
Eine
zentrale Bedeutung hatte der Blockwart zudem bei der politischen Überwachung vor
Ort. Ihm oblag ein wesentlicher Teil der politischen Beurteilung der in den ihm
anvertrauten vier bis acht Blocks lebenden Personen. Auch „führte er eine normierte Haushaltskartei, notierte Unmutsäußerungen und
das Verhalten bei Beflaggung, gab Leumundszeugnisse ab und war allgegenwärtiger
Ansprechpartner für Denunziationen“.
Der
Blockwart, „ein allgegenwärtiges
Instrument der Überwachung“. Von einer solch behördlich offiziell
eingesetzten und quasi in staatstragender Funktion agierenden Truppe arischer „Treppenterrier“ sind wir Lichtjahre
entfernt. Aber in unserem kleinen digitalen Dorf, da dräut, raunt und rumort es
gewaltig. Wieder einmal.
Das christliche Abendland und mit ihm
die christlichen Werte sind in akuter Gefahr, heißt es in einschlägigen Blogs
und Foren. Von einer „Völkerwanderung
nach Europa“ und „Flüchtlingsinvasion“ ist
die Rede, von einem „muslimischen Migrationstsunami“.
Die
Bürger umtreibt die Sorge, ob denn „die
Rettung von Menschen aus einem Kulturraum, der uns Christen und Mitteleuropäer
traditionell verachtet oder gar hasst“, wirklich zu verantworten ist. Bringt
uns das nicht einzig nur Unfrieden, Gewalt und Kosten? Was ist zum Beispiel mit
dem islamischen Frauenbild? Geilen sich die maghrebinischen Grapscher nicht etwa
an den sommerlich gekleideten deutschen Mädels so richtig auf? Sind unsere
Kinder vor diesen levantinischen Ölaugen noch sicher? Und überhaupt: Was ist
mit unserer Lebensqualität?
Die Sorgen dieser
Bürger sollen hier nicht klein, auch soll nicht alles schön geredet werden. Wir
dürfen nicht die Augen vor den tatsächlich erfolgten Übergriffen auf Frauen und
Mädchen verschließen. Vor Diebstählen, Missbrauch oder dem möglichen Einsickern
islamistischer Terroristen auf den Flüchtlingsrouten. Aber das muss in aller
Nüchternheit geschehen. Stattdessen werden wieder einmal archaisch-dumpfe
Urängste vor dem Fremden, Anderen, Unbekannten bedient, wird an niedere
Instinkte appelliert, das Fremde nicht Bereicherung, sondern als Bedrohung
empfunden. Alle, die nicht zum ‚Wir’
gezählt werden, geraten unter Generalverdacht. Alte völkische Denkmuster werden
da, wo Menschen nicht mehr nur sprachlich, sondern auch wortwörtlich ausgegrenzt
werden, an die Oberfläche gespült.
Höchste Vorsicht ist
geboten. Zentrale christliche Werte werden ausgehöhlt, deutschnational aufgeladen, demagogisch umgewidmet. Aus der
objektiven Faktenlage ergibt sich keine hinreichende Erklärung dafür, warum
subjektiv eine Gefahrenlage vorliegt. Die vermeintliche
Überfremdung dient als Drohkulisse, bei der das imposante Bühnenbild einer
Gefahr für abendländische Kultur und Hemisphäre gerade groß genug ist, um darin
die als real empfundene und damit für den besorgten Bürger real existierende Angst
zu betten.
Die
als unmittelbar und ganz persönlich empfundene Bedrohung jedes Einzelnen erfährt
hier seine irrationale Überhöhung. Übersteigerung. Mystifizierung. Rationale
Argumente ziehen nicht mehr. Darauf wies der SWR-Intendant Peter Boudgoust erst
jüngst in einem Interview hin: "Menschen
mit einer vorgefassten Meinung lassen sich fast nie von gegenteiligen
Informationen überzeugen. Fakten dringen nicht mehr zu ihnen durch – und sie
interessieren viele Menschen auch nicht mehr."
Der
Muslim von heute ist der Jud’ von morgen. Das lehrt uns die Geschichte. Die
Kennzeichnung des Fremden ist eine Variable. Je nach Gemengelage wird sie mit
der Gruppierung besetzt, die gerade opportun ist. Waren es gestern die ‚Judenfreunde’, sind es morgen die
Verfasser von Zeilen wie diesen, diese Gutmenschen, Nestbeschmutzer,
Vaterlandsverräter, die dann, wenn man schon mal dabei ist, flugs mit in
Sippenhaft genommen werden.
Es ist wieder an der Zeit, dass simplifizierende Gegensätze gepredigt werden. So schafft man sich seine kleine heile Welt, seine Ordnung in solch unordentlichen Zeiten. Da weiß man, was man hat. Und woran man ist. Man bewegt sich zielsicher nur in solchen Kreisen, die die eigene, vorgefasste Meinung bestätigen – und mit jeder dieser Bestätigungen wächst der Glaube an die unerschütterliche, absolute Wahrheit und Wucht der eigenen Meinung: Die eigene Wahrheit als die einzige Wahrheit.
Es ist wieder an der Zeit, dass simplifizierende Gegensätze gepredigt werden. So schafft man sich seine kleine heile Welt, seine Ordnung in solch unordentlichen Zeiten. Da weiß man, was man hat. Und woran man ist. Man bewegt sich zielsicher nur in solchen Kreisen, die die eigene, vorgefasste Meinung bestätigen – und mit jeder dieser Bestätigungen wächst der Glaube an die unerschütterliche, absolute Wahrheit und Wucht der eigenen Meinung: Die eigene Wahrheit als die einzige Wahrheit.
In
solchen Momenten spürt man sie fast schon körperlich wieder wirken, diese schlichten
Denk- und Entscheidungsstrukturen. Gut vs. böse. Wahrheit vs. Lüge. Recht vs.
Unrecht. Positiv vs. negativ. Ein bemerkenswert gegenläufiges, rückwärtsgewandtes
Phänomen im Zeitalter der digitalen Revolution übrigens, welches völkische
Ideologien strukturell aufs Schönste mit dem salafistischen Doktrinärislam
ebenso verbindet wie mit der „kreationistischen
Internationalen“ (F.W.Graf), den Pfingstlern oder den Evangelicos in
Nordamerika, letztere allesamt fundamentalistische Christentümer.
Schlüssige
Gegenargumente werden von Anhängern dieser konsequent hierarchisch und
gruppendynamisch, also antiindividualistisch ausgerichteten Strömungen zunächst
als Beweis völliger Naivität und Verblendung der ‚Anderen’, später dann als persönliche
Beleidigungen und, zu unguter Letzt, als Bedrohung empfunden – für Glauben, Volk,
Ethnie, Zukunft, Vater- und Abendland etc.pp.
Da, wo ich
mich subjektiv bedroht fühle, drohe ich zum Opfer zu werden. Dem muss ich
vorgreifen. Und in einem Akt vorauseilender Notwehr für Ordnung sorgen. Ein geradezu klassischer Argumentationsstereotyp:
Ich vermute, dass ich geschlagen werde. Also schlage ich zuerst. Wobei völlig
unerheblich ist, ob der andere mich tatsächlich hätte schlagen wollen. Hier ist
das Opfer der eigentliche Täter, der Täter das wahre Opfer. Und alle Folgen
haben die als die eigentlichen Täter entlarvten vermeintlichen Opfer zu
verantworten.
Groucho
Marx hat dieses an Paranoia grenzende Phänomen einmal
in all seiner grotesken Absurdität persifliert: In der bitterbösen, satirischen Komödie
„Duck Soap“ (dt. ‚Die Marx Brothers im Krieg’,
1933) verkörpert er Rufus T. Firefly, den verrückten Diktator des Zwergstaates
Freedonia, der dem Botschafter des
Nachbarlandes eine schallende Ohrfeige verpasst und damit einen Krieg auslöst. Einfach deshalb, weil Firefly sich in den Gedanken hineinsteigert,
dass diese Hyäne von Botschafter die Unverschämtheit besitzen wird, ihm bei
einem Empfang den Handschlag zu verweigern, um ihn so vor allen Anwesenden lächerlich
zu machen.
„Wenn die
Menschen Situationen als wirklich definieren, sind sie in ihren Konsequenzen
wirklich.“ Dieses Phänomen haben die beiden amerikanischen Soziologen Dorothy Thomas und William Thomas 1928 beschrieben: Sehe ich in jemandem eine
Bedrohung, ist er für mich eine
Bedrohung. Subjektive Wahrnehmung und objektive Realität fallen auseinander. Ich
reagiere auf etwas, was nicht der Fall ist. Und provoziere so die Konsequenzen,
die ich prophezeit habe.
So etwas in der Art steht uns auch wieder bevor. Neuerdings
patrouillieren diverse Selbsthilfegruppen besorgter Deutscher, alles gute und
ehrenwerte Bürger, durch die Straßen. Gerne in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften, besonders im
wilden Osten. Immer auf der Suche nach marodierenden Horden vorzugsweise
muselmanischer Herkunft.
Auch in der digitalen Nachbarschaft geschieht
dies nunmehr vermehrt. Dort, wo der Blockwart
zum Blogwart wird, sehen es einige als
ihre ureigenste, heilige Aufgabe an, die Dinge wieder selbst in die Hand zu
nehmen. Die Augen aufzuhalten. Aufzulisten. Zu überwachen. Zu protokollieren. „Unzensiert“ zu melden, was sich fremdländische
Gestalten in diesem unseren Land so alles herausnehmen. Und diese Vorfälle
sodann, „ob Masseneinwanderung, Deutschlands tägliche
‚Einzelfälle’ und weitere ‚Kulturelle Bereicherungen’ “, für alle gut sichtbar ins Netz zu stellen.
https://www.facebook.com/Multikulti-Watch-506207196208259/
https://www.facebook.com/Multikulti-Watch-506207196208259/
Der Blogwart, „ein allgegenwärtiges Instrument der Überwachung“. Aber Obacht – nicht, dass sich jetzt alle, die diesem Befund im Wesentlichen zustimmen, in Sicherheit wähnen: Der Archetypus dieses guten Deutschen ist der Jedermann. Der steckt in jedem von uns. Also auch in Ihnen. Und, ich sag’s nur ungern, auch in mir.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen