Schafft die Rente ab!
Philipp
Mißfelder war zeit seines Lebens
ein Mann deutlicher Worte. Hatte er schon 2003, als 24jähriger, den 85jährigen
unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie sich doch bitte schön statt
auf teure künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Allgemeinheit zu hoffen
zukünftig besser mit dem Gedanken vertraut machen sollten, wie ehedem auf
Krücken laufen zu müssen, so erfuhren auch die Rentner 2007, was seiner Ansicht
nach die Stunde geschlagen hat.
Die Lebensarbeitszeit der Deutschen müsse
deutlich erhöht werden, das Renteneintrittsalter sei mit 67 entschieden zu
niedrig. 70 sei realistisch. Sonst drohe uns ein rentenpolitisches Desaster. 2016,
also fast 10 Jahre nach dieser damals noch recht provokant anmutenden Bemerkung,
geht das Institut der deutschen Wirtschaft (IM) noch einen Schritt weiter: Das
Renteneintrittsalter müsse unbedingt auf 73 heraufgesetzt werden. Sonst, siehe
oben, drohe uns ein rentenpolitisches Desaster.
Besagter Philipp
Mißfelder hätte dieser Forderung begeistert zugestimmt. Mit einer
Einschränkung: Sie solle nicht erst 2041 umgesetzt werden, hätte er gesagt. Sondern am besten sofort.
Leider war ihm nicht beschieden, sich dafür noch stark zu machen – tragisch
sein Tod mit gerade mal 36 Jahren. Und dazu, betrachtet man es einmal
stocknüchtern finanzmathematisch, völlig unnötig. Schließlich war er als
langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestages längst pensionsberechtigt, eine
Belastung der Rentenkasse wäre er sicher nie geworden.
Finanzmathematisch gesehen ist ein solch frühes
Ableben, zumindest unter Rentenbezugsberechtigten, eh nur die zweitbeste
Lösung. Generell sollten sich verantwortungsbewusste deutsche Arbeitnehmer
darüber im Klaren sein, dass es volkswirtschaftlich gesehen das Beste ist, wenn
sie bis zum Renteneintrittsalter Vollzeit arbeiten. Und hernach fristgerecht
dahinscheiden. Aber das ist wieder ein anderes Thema, Thema hier ist die Lebensarbeitszeit.
Laut einer aktuellen
Statistik waren im Juli 2016 871.656 der über 50jährigen arbeitslos, zudem wurden
über 164.000 der Arbeitslosen über 58, die länger als ein Jahr Hartz IV bezogen
haben, gar nicht mehr in der Statistik erfasst. Erfasst sind auch nicht mehr
die, die bereits, mit beträchtlichen Abschlägen, in den Vorruhestand gegangen
wurden. Oder die über 50jährigen, die man in irgendwelche Fördermaßnahmen gesteckt
hat. Wohl wissend, dass über 50jährige, erst einmal arbeitslos, kaum noch
realistische Chancen auf einen ihrer Qualifikation halbwegs entsprechenden
Arbeitsplatz haben. Folgerichtig werden denn auch ab 55 solche Maßnahmen
eingestellt – das Bundesamt für Arbeit selbst sieht dann keine weitere
Notwendigkeit mehr.
Durchaus nachvollziehbar.
Zwar werden ältere Arbeitnehmer, die noch in Amt und Würden sind, durchaus
geschätzt. Ältere Bewerber jedoch werden schäl angesehen. Und fallen durchs
Raster. So steigt denn auch, wenn sie aus allen Fördermaßnahmen fliegen, der
Anteil der Arbeitslosen über 55jährigen schlagartig an. Was sich aber bis 58 wieder gibt.
Dann fallen sie ja ganz aus der Statistik. Clever.
Das zentrale
Schlagwort des Industriezeitalters heißt „Digitale
Transformation“. Arbeitsmarktforscher gehen bei dieser vierten
industriellen Revolution von einem radikalen Wandel unserer Arbeitswelt aus.
Nicht 2050, sondern quasi morgen, in den kommenden zehn Jahren. Also in den
Jahren, in denen sich sukzessive die Lebensarbeitszeit auch der letzten
Baby-Boomer dem Ende zuneigt.
Vielleicht sollte man
besser sagen: die offizielle
Lebensarbeitszeit, nicht die tatsächliche.
Denn die Transformation der Arbeitswelt wird zwar sehr viele Gewinner
hervorbringen. Aber sicher ebenso viele Verlierer. Kaum anzunehmen, dass
ausgerechnet die derzeit 871.656 Arbeitslosen über 50 nicht zu ihnen gehören
werden. Oder die über 164.000 der Arbeitslosen über 58, die gar nicht mehr in
der Statistik auftauchen. Oder der Großteil der über 50jährigen, die momentan
zwar noch in Lohn und Brot, aber spätestens bei Einführung digitaler
Arbeitswelten in ihren Unternehmen zur Disposition stehen. Was keine Wertung
darstellen soll. Nur eine nüchterne Bestandsaufnahme.
Tatsächlich werden,
sofern es sich nicht um Gewerkschaftsfunktionäre handelt, zumindest prozentual
gesehen immer weniger Menschen Vollzeit in ihrem Beruf arbeitend ihr
Renteneintrittsalter erleben. Was nichts anderes bedeutet als dass der Begriff Lebensarbeitszeit eine recht zynische
Konnotation erhält – Lebensarbeitsloszeit
wäre wohl der treffendere:
Wenn ein Beitragszahler,
wie vorgesehen, mit 67 in Rente gehen kann, er aber ab 50, falls er arbeitslos
werden sollte, heute schon, obwohl oftmals durchaus gut qualifiziert, kaum noch
Chancen hat, eine halbwegs adäquate Arbeit mit einer ebensolchen Bezahlung zu
finden, Chancen die sich, siehe oben, im Zeitalter von Industrie 4.0 nicht
gerade zu seinen Gunsten verbessern werden – dann erscheint die Forderung, dass
die Menschen in Zukunft generell länger werden arbeiten müssen, ein wenig, sagen wir’s freundlich: lebensfern.
Oder steckt da etwa
etwas ganz anderes dahinter? Denn wie kann man von einem Menschen ernsthaft fordern,
in seinem Leben länger zu arbeiten, wenn er keine realistischen Chancen hat,
eine ihm adäquate Arbeit zu finden? Wird von ihm dann vielleicht ganz
selbstverständlich erwartet, dass er sich ab 50 gut 17 Jahre, bei Eintritt 2041
gut 23 Jahre als Minijobber verdingen wird?
Wer auf großer Bühne
eine, wahrscheinlich tatsächlich unabdingbare, Verlängerung der
Lebensarbeitszeit und damit ein Hinausschieben des Renteneintrittsaltes
fordert, ohne nicht im mindesten konkret sagen zu können, wie denn diese
Verlängerung der Lebensarbeitszeit als Arbeitszeit
für die über 50jährigen in der heutigen Arbeitsmarktrealität unter
lebensqualitativ halbwegs akzeptablen Bedingungen aussehen soll, handelt
unverantwortlich. Denn er tut gerade so, als stünde es ihnen allen doch jederzeit
frei, bis 67 zu arbeiten. Gute Jobs gibt's für sie schließlich wie Sand am Meer, sie müssen nur wollen.
Aber Schwamm drüber.
Das Institut der deutschen
Wirtschaft wird eh 2018 eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 75 Jahre
fordern. Und wenn 2020 das Arbeitsministerium das Renteneintrittsalter 2035 mit
den Stimmen einer neuen Groko erst auf 70, 2024 dann auf 72 festsetzt, wird auch
das nächste Institut ausgerechnet haben, dass das längst nicht ausreichen wird:
2040 ist 78 erforderlich, besser noch 80. Schon allein, um das bis dahin kaum
noch wahrnehmbare Rentenniveau zu halten.
Lieber ein Ende mit Schrecken
als ein Schrecken ohne Ende: Ich plädiere für die Abschaffung der Rente. Jetzt
sofort. Zack. Aus. Ende. Früher gab’s ja schließlich auch keine. Was soll also
das Gejammer?
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