Der wahre Grund des Verbots
In der Türkei, wo gerade auf Basis des verhängten
Ausnahmezustandes per Dekret und unter massiver Einschränkung der Grundrechte „zum Schutze der Bevölkerung“ mit harter
Hand regiert und zehntausende unliebsame Intellektuelle, Journalisten wie
Akademiker, aber auch Militärs, Staatsanwälte und Richter ohne hinreichend
begründeten Anfangsverdacht inhaftiert werden, ist die Staatsmacht empört. Und
geriert sich, ausgerechnet, als Hüterin der Demokratie, der Meinungsfreiheit
und des Menschenrechts.
Was ist geschehen? Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Nordrhein-Westfalen hatte
entschieden, dass bei der Großdemonstration in Köln keine Redner wie der
türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan zugeschaltet werden dürfen. In einem
Eilverfahren, angestrengt von der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“,
lehnte das Bundesverfassungsgericht am
Samstagabend aus formalen Gründen einstimmig den Antrag der Veranstalter gegen
die Entscheidung des OVG ab.
Die
Vollmacht der Rechtsvertreter der Veranstalter, so der Tagesspiegel, „entspreche nicht den gesetzlichen
Erfordernissen ... Im Übrigen hätte eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich
keine Aussicht auf Erfolg. Es sei nicht ersichtlich, dass die Entscheidungen
der Vorinstanzen Grundrechte der Demo-Veranstalter verletzt hätten“. (Az.:
1 BvQ 29/16)
Es ist das gute Recht jedes Einzelnen,
sich über Entscheidungen eines Gerichtes zu ärgern. Selbst über Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichtes. Auch öffentlich, wenn’s sein muss. Und das übrigens,
ohne Gefahr für Leib und Seele befürchten zu müssen. Ja – es dürfen sich sogar
ausländische Regierungen füglich darüber ärgern, ohne dass es gleich einen
landesweiten Aufschrei gibt, bei dem eine solche Verlautbarung als Eingriff in die inneren
Angelegenheiten empört zurückgewiesen wird.
Nun geht aber der Ärger der türkischen
Regierung über das Verbot einer Zuschaltung durch das oberste zuständige
deutsche Gericht weit über das nach internationalen, insbesondere
diplomatischen Gepflogenheiten gebotene Maß hinaus: Die türkische Regierung zitierte
den Geschäftsträger der deutschen Botschaft ins Außenministerium.
Der türkische Justizminister Bekir
Bozdag twitterte am Sonntagabend, das Verbot der Übertragung sei auf "widerrechtliche und unhöfliche Art"
erfolgt. Die Entscheidung sei eine "Schande"
für Demokratie und Recht. Von Stund’ an sei es völlig inakzeptabel, „wenn Deutschland gegenüber der Türkei die
Begriffe Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und Freiheit auch nur in den
Mund“ nimmt. Ebenfalls auf Twitter
bezeichnete der türkische EU-Minister
Ömer Celik das Verbot als "Abweichung
von der Meinungsfreiheit und Demokratie".
Angereist war der türkische
Sportminister Akif Cagatay Kilic. Er sagte in seiner Rede, so die Rheinische
Post, man sei mit mehreren Ministerien in Deutschland im Gespräch über das
Verbot der Erdogan-Rede und erwarte eine "vernünftige Erklärung, warum das verweigert wurde". Und Erdogans
Sprecher fragte sich, „was der wahre
Grund“ dafür sei.
In der Tat, es gibt eine
vernünftige Erklärung, einen wahren
Grund. Und der besteht darin, dass nur der
eine solche Frage stellen kann, dem das grundlegende Prinzip der
Gewaltenteilung in einem demokratischen Rechtsstaat nicht gänzlich vertraut ist:
Dass jede der drei Gewalten unabhängig
voneinander agiert und sich eine direktive Einflussnahme der Gewalten
untereinander grundsätzlich verbietet. Etwas, was gerade in Polen in
Vergessenheit gerät. Ebenso in Ungarn. Aber auch in der Türkei.
Der Umstand, dass
führende Politiker mit diesem grundlegenden Prinzip nicht vertraut sind, liegt
wohl darin begründet, dass sie es nicht
als ein solches ansehen. Gerade nicht in Zeiten wie diesen. Denn für sie ist es
ganz selbstverständlich, dass eine direkte Einflussnahme der Politik auf die
Justiz nicht allein denkbar, sondern gang und gäbe ist. Einfach unvorstellbar,
dass bei dem Verbot der Staat seine Finger nicht mit im Spiel hatte – sie
schließen da schlicht von sich auf andere. Und fordern, in ihrem Denkmuster
ganz folgerichtig, als vernünftige
Erklärung genau das ab, was für sie die vernünftigste, weil nächstliegende
Erklärung ist: Dass der deutsche Staat eben das tut, was in der Türkei gerade
landauf, landab erfolgt – dass alle Gerichte ihre Weisungen vom Staat
erhalten.
Man kann den Herren Kilic, Cavusoglu und Bosdag ebenso wenig
einen Vorwurf machen wie den Herren Orban, Kaczynski oder Putin: Sie verhalten
sich so, wie sich veritable Autokraten nun einmal verhalten – sie nehmen sich
Rechte heraus, die sie anderen vorenthalten. Und stellen Regeln auf, die für
alle gelten. Nur nicht für sie.
Es liegt allein an
uns, sie in die Schranken zu weisen. Höflich, aber bestimmt. Und mit wilder
Entschlossenheit, uns ihre Regeln nicht oktroyieren zu lassen.
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