Montag, 1. August 2016


Der wahre Grund des Verbots


In der Türkei, wo gerade auf Basis des verhängten Ausnahmezustandes per Dekret und unter massiver Einschränkung der Grundrechte „zum Schutze der Bevölkerung“ mit harter Hand regiert und zehntausende unliebsame Intellektuelle, Journalisten wie Akademiker, aber auch Militärs, Staatsanwälte und Richter ohne hinreichend begründeten Anfangsverdacht inhaftiert werden, ist die Staatsmacht empört. Und geriert sich, ausgerechnet, als Hüterin der Demokratie, der Meinungsfreiheit und des Menschenrechts.

Was ist geschehen? Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Nordrhein-Westfalen hatte entschieden, dass bei der Großdemonstration in Köln keine Redner wie der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan zugeschaltet werden dürfen. In einem Eilverfahren, angestrengt von der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“, lehnte das Bundesverfassungsgericht am Samstagabend aus formalen Gründen einstimmig den Antrag der Veranstalter gegen die Entscheidung des OVG ab.

Die Vollmacht der Rechtsvertreter der Veranstalter, so der Tagesspiegel, „entspreche nicht den gesetzlichen Erfordernissen ... Im Übrigen hätte eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Es sei nicht ersichtlich, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen Grundrechte der Demo-Veranstalter verletzt hätten“. (Az.: 1 BvQ 29/16)

Es ist das gute Recht jedes Einzelnen, sich über Entscheidungen eines Gerichtes zu ärgern. Selbst über Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. Auch öffentlich, wenn’s sein muss. Und das übrigens, ohne Gefahr für Leib und Seele befürchten zu müssen. Ja – es dürfen sich sogar ausländische Regierungen füglich darüber ärgern, ohne dass es gleich einen landesweiten Aufschrei gibt, bei dem eine solche Verlautbarung als Eingriff in die inneren Angelegenheiten empört zurückgewiesen wird.

Nun geht aber der Ärger der türkischen Regierung über das Verbot einer Zuschaltung durch das oberste zuständige deutsche Gericht weit über das nach internationalen, insbesondere diplomatischen Gepflogenheiten gebotene Maß hinaus: Die türkische Regierung zitierte den Geschäftsträger der deutschen Botschaft ins Außenministerium.

Der türkische Justizminister Bekir Bozdag twitterte am Sonntagabend, das Verbot der Übertragung sei auf "widerrechtliche und unhöfliche Art" erfolgt. Die Entscheidung sei eine "Schande" für Demokratie und Recht. Von Stund’ an sei es völlig inakzeptabel, „wenn Deutschland gegenüber der Türkei die Begriffe Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und Freiheit auch nur in den Mund“ nimmt. Ebenfalls auf Twitter
bezeichnete der türkische EU-Minister Ömer Celik das Verbot als "Abweichung von der Meinungsfreiheit und Demokratie".

Angereist war der türkische Sportminister Akif Cagatay Kilic. Er sagte in seiner Rede, so die Rheinische Post, man sei mit mehreren Ministerien in Deutschland im Gespräch über das Verbot der Erdogan-Rede und erwarte eine "vernünftige Erklärung, warum das verweigert wurde". Und Erdogans Sprecher fragte sich, „was der wahre Grund“ dafür sei.

In der Tat, es gibt eine vernünftige Erklärung, einen wahren Grund. Und der besteht darin, dass nur der eine solche Frage stellen kann, dem das grundlegende Prinzip der Gewaltenteilung in einem demokratischen Rechtsstaat nicht gänzlich vertraut ist: Dass jede der drei Gewalten unabhängig voneinander agiert und sich eine direktive Einflussnahme der Gewalten untereinander grundsätzlich verbietet. Etwas, was gerade in Polen in Vergessenheit gerät. Ebenso in Ungarn. Aber auch in der Türkei.

Der Umstand, dass führende Politiker mit diesem grundlegenden Prinzip nicht vertraut sind, liegt wohl darin begründet, dass sie es nicht als ein solches ansehen. Gerade nicht in Zeiten wie diesen. Denn für sie ist es ganz selbstverständlich, dass eine direkte Einflussnahme der Politik auf die Justiz nicht allein denkbar, sondern gang und gäbe ist. Einfach unvorstellbar, dass bei dem Verbot der Staat seine Finger nicht mit im Spiel hatte – sie schließen da schlicht von sich auf andere. Und fordern, in ihrem Denkmuster ganz folgerichtig, als vernünftige Erklärung genau das ab, was für sie die vernünftigste, weil nächstliegende Erklärung ist: Dass der deutsche Staat eben das tut, was in der Türkei gerade landauf, landab erfolgt – dass alle Gerichte ihre Weisungen vom Staat erhalten.

Man kann den Herren Kilic, Cavusoglu und Bosdag ebenso wenig einen Vorwurf machen wie den Herren Orban, Kaczynski oder Putin: Sie verhalten sich so, wie sich veritable Autokraten nun einmal verhalten – sie nehmen sich Rechte heraus, die sie anderen vorenthalten. Und stellen Regeln auf, die für alle gelten. Nur nicht für sie.

Es liegt allein an uns, sie in die Schranken zu weisen. Höflich, aber bestimmt. Und mit wilder Entschlossenheit, uns ihre Regeln nicht oktroyieren zu lassen.

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