Montag, 25. September 2017


Der Unterworfene, der unterwerfen soll



Jeder einzelne Mensch ist in die Zeit und die Welt geworfen. In ein Da-Sein genauso wie in ein So-Sein. In ein komplexes Geflecht aus kulturellen Bedingungen, gesellschaftlichen, religiösen, ethischen Normen, in einen vorgefundenen Platz, in einen je individuellen Möglichkeitsrahmen: in eine ihm zugehörige, spezifische Variante der vorfindlichen Lebenswelt, die ihrerseits eingebunden ist in ein weltumspannendes Geflecht unzähliger Lebenswelten.

Als sei das nicht genug sind all diese Lebenswelten und, in uns, alle lebensweltliche Individuationen nie konstant, sondern immer fluid. Sie ändern sich beständig, nie gleichzeitig in gleicher Weise, sondern immer und überall asynchron und bei jedem Einzelnen anders. Und sei es auch nur zart nuanciert. Zudem ändern sich die Ausprägungen der Lebenswelten laufend in jeder Zeitachse, sowohl in der diachronen als auch der synchronen. Und auch hier wieder, heruntergebrochen auf jeden Einzelnen, nie konstant, nie in gleicher Weise, ja: gegebenenfalls sogar von Tag zu Tag anders, abhängig von jedem Ereignis oder individueller physischer und psychischer Tagesverfassung, vom spezifischen Kontext oder sozialen Umfeld.

So gesehen ist der Einzelne de facto dem Sein, der Zeit, der Welt, seinen intersubjektiven Verhältnissen und Konstellationen et all. „unterworfen“, lat. subicere. Insofern ist er „Subjekt“ – aber nicht das Subjekt1, das er seit Descartes meint zu sein und das bereits in Gottes Auftrag an uns, uns die Welt untertan zu machen, sie also mithin zu unterwerfen, angelegt war. Dieses „Subjekt-Sein“ wird durch die harten Fakten der Realität ins Gegenteil verkehrt: Ich bin als Mensch immer schon der Welt „unterworfen“. Bin also nie frei von ihrer Abhängigkeit und als Unterworfener, als „Subjekt“, auch nie frei in meinen Handlungen:

Wie kann ich nun als dieses „Subjekt“, als Geworfener, Unterworfener, gleichzeitig „Subjekt“ sein, Unterwerfender, Entwerfender, Gestaltender?


1Die Dinge stellen sich oftmals ganz anders dar, als sie uns heute erscheinen: Für den bedeutenden mittelalterlichen Nominalisten William of Ockham war das ‚Sein der Dinge’, unserer Objekte, esse subiectivum. Und das ‚Sein der Gedanken im Geiste’, im Subjekt, esse obiectivum.

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