Wenn
die Kühe Götter hätten
Thales, Parmenides, Heraklit, Demokrit, Sokrates, Platon, Aristoteles. Diese Namen aus dem Pantheon der griechischen Philosophie sind wohl jedem beflissenen Bildungsbürger geläufig. Aber der Vorsokratiker Xenophanes? Wenn sein Name fällt, zucken die meisten nur ratlos mit den Schultern. Eigentlich verwunderlich, war dieser Philosoph aus dem kleinasiatischen Kolophon doch einer der originellsten, innovativsten und in mancherlei Hinsicht auch radikalsten Denker des Altertums. Ein ganz eigener Kopf, der sich kaum um Traditionen und überkommene Lehrmeinungen scherte, ein „Sturmvogel der Aufklärung“, wie ihn Wilhelm Capelle nannte.
Unser Wissen, so Xenophanes
um 500 v. Chr., sei doch nichts weiter als reine Vermutung und Meinung. Eine Wahrheit
vermögen wir nicht zu erkennen, wir können uns ihr bestenfalls annähern. Diese skeptische
Haltung machte auch vor dem olympischen Götterhimmel nicht halt: Xenophanes zweifelte
nicht allein daran, dass wir je etwas Gesichertes über die Götter werden
erfahren können, er stellte auch gleich den gesamten anthropomorphen
Polytheismus des alten Hellas in Frage. Geradezu götterlästerlich gelangte er
so zu einer zu seiner Zeit bemerkenswert agnostischen Position:
Das All als Ganzes
ist eins, ewig, nicht entstanden und unveränderlich, ganz „mit der Gesamtheit
der Dinge verwachsen“. Und weiter: „Wenn aber die Gottheit das Mächtigste von
allem ist, dann kann sie nur eine einzige sein“. Das All-Eine als die eine allumfassende
Gottheit, die ganz Geist ist: „ganz sieht er, ganz denkt er, ganz hört er“. Philosophiert
Xenophanes hier noch auf einer theologisch-theoretischen
Ebene, die einen fast schon an die scholastischen ‚Disputationes’ um das Wesen
Gottes erinnern, so wendet er sich im nächsten Moment ganz lebenspraktisch unserer
naiven Beschränktheit zu, mit der wir unreflektiert den Topos vom
personalisierten Gott in die Welt gesetzt haben, der das Weltbild ganzer
Zeitalter, Zivilisationen und Religionsgemeinschaften mit prägte. Und
pulverisiert ihn mit fast schon satirischem Spott:
„Die Äthiopen stellen sich ihre Götter
schwarz und stumpfnasig vor, die Thraker dagegen blauäugig und rothaarig“.
Das, was damals für
die Griechen galt, gilt in gleicher Weise auch heute noch für uns. Unser Bild
von Gott ist von unserem Bild vom Menschen geprägt. Da sind wir ganz einfach
strukturiert. Wir haben die unheilige Neigung, nicht
zu abstrahieren, die Dinge nicht aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten,
uns nicht in andere hineinzuversetzen. Nur zu gerne gehen wir von uns aus, sehen
die Welt nur mit unseren Augen. Ganz generell, bis hinein in die profansten
Dinge unseres Alltags. Menschlich zwar, aber doch recht beschränkt. Und keine
gute Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben. Wie wir es gerade ganz
aktuell mal wieder erleben dürfen. Für die meisten Menschen gibt es nur eine
gültige Sichtweise der Dinge: die eigene. Die eigene Wahrheit als die einzige
Wahrheit. Dumm nur, dass sie natürlich jeder für sich reklamiert. Damit hat man
dann einen ganzen Sack voll konkurrierender Wahrheiten mit Anspruch auf
Allgemeingültigkeit. Das kann nicht gut gehen. Gerade, wenn es um religiösen
Fanatismus oder heilsgewisse Alleinvertretungsansprüche jedweder Couleur geht.
An diesem Punkt
wird es bei Xenophanes, gerade im Hinblick auf die heutigen Ereignisse, noch
einmal so richtig spannend. Denn er gibt nicht allein unsere eingeschränkte,
monoperspektivische Weltsicht der Lächerlichkeit preis. Nein, er geht einen entscheidenden
Schritt weiter – er gibt jede religiöse
anthropozentrische Weltsicht der Lächerlichkeit preis:
„Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten
und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen könnten, dann würden die
Pferde pferde-, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche Gestalten
schaffen, wie sie selber sind“.
Das ist nichts
weniger als der endgültige Abschied vom personalisierten Gott. Und damit fast
so etwas wie die Kopernikanische Wende in der Theologie. Aber wer so an dem Gott
zweifelt, den er vor Augen hat, muss nicht verzweifeln.
Ganz im Gegenteil. Denn in diesem Moment
des größten Zweifels hat er doch eine unbezweifelbare Gewissheit: Dubito ergo sum, ich zweifle, also bin
ich. So Rene Descartes, der Großmeister der Aufklärung. Der Zweifel konstituiert die Gewissheit, dass ich bin: Diese Einsicht
lässt einen demütig werden. Und diese Demut imprägniert zwar nicht vollends,
aber sie bietet zumindest einen gewissen Schutz vor der selbstgefälligen
Arroganz eines jedes Wahrheitsanspruchs. Insbesondere des eigenen.
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