Das Rätsel verwandtschaftlicher
Beziehungen
Manchmal komme ich wirklich ins
Schwimmen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Verwandtschaftsgrade zu bestimmen.
Und das nicht erst seit dem inflationären Aufkommen der Patchwork-Familien. Nein,
eigentlich immer schon. Ich vermute, das liegt in unserer eigenen Familienhistorie
begründet. Der erste Ehemann meiner Großmutter mütterlicherseits verstarb nämlich
sehr früh, kurz nach der Geburt des gemeinsamen Kindes. Einige Jahre später
heiratete meine Großmutter wieder. Zwei Kinder waren die Folge, beides also
Halbgeschwister des ersten Kindes. Dieses erste Gottesgeschenk war meine Tante,
das zweite meine Mutter, das dritte mein Onkel. Der Oheim, ‚Oehm’. Wie passend.
Soweit nichts Ungewöhnliches. Nur dass
eben meine Tante ja nur eine Halbschwester meiner Mutter und meines Onkels war.
Also quasi meine Halbtante. Im Gegenansatz zu meinem Vollonkel. Was
genealogisch bereits ein kleines Dilemma darstellt, da es eigentlich keine
Halbtante, nur eine Tante 2. Grades gibt. Die wiederum wäre aber das Kind der
Großtante resp. des Großonkels, welche/r ein/e Schwester/Bruder meiner
Großmutter sein müsste.
Egal: Meine halbe Tante war für mich
meine über alles geliebte Tante, basta. Und ihr angetrauter Ehemann war damit,
so sagte man mir, mein Onkel. Der also auch. Was mich allerdings schon in
frühester Jugend etwas irritierte. Nicht dass ich ihn nicht mochte, nein, ganz
im Gegenteil. Aber der Mann meiner Halbtante erhielt den gleichen Titel wie
mein Onkel. Also der richtige jetzt. Weil Vollbruder meiner Mutter. Das wollte
mir nicht so recht in den Kopf. Was die Sache allerdings noch komplizierter
machte, war: Die beiden bekamen Kinder.
Was sind denn nun diese Kinder meiner
Halbtante für mich? Cousins und Cousine, genauer gesagt: Halbcousins und
Halbcousine? Aber das gibt es eigentlich nicht. Zumindest nicht offiziell.
Soweit ich weiß. Was ich aber weiß: Es sind nicht Cousins und Cousine 2.
Grades. Denn die, siehe oben, müssten ja Enkelkinder einer Schwester oder eines
Bruders meiner Großmutter sein. Da gibt es auch ein paar in unserer Mischpoke,
aber die tun hier besser nichts zur Sache – das würde denn doch zu weit führen.
Mein Vetter also, um an ihm einmal mein
Problem zu verdeutlichen, ist nicht mein Vetter 2. Grades, weil wir ja, wie
gesehen, zwar die gleiche Großmutter, aber dummerweise nicht den gleichen
Großvater haben, was der verwandtschaftlichen Beziehung einen eindeutigen
Status geben würde. Ist er dennoch mein Vetter, also ein richtiger? Oder eben
nur ein halber, weil Sohn der Halbschwester meiner Mutter, somit so was wie ihr
Halbneffe? Oder etwa gar nichts dergleichen?
Die Sache wird nicht einfacher: Ich
habe Kinder, er hat Kinder. Was sind die nun für mich und, vice versa, sie für
ihn? Nichte und Neffe zweiten Grades ja nicht, denn dafür müsste mein Vetter
(Halbvetter) und ich ja wie gesagt dieselben Großeltern mütterlicher- resp. väterlicherseits
haben. Haben wir aber nicht. Ergo sind sie’s nicht. Aber was sind sie dann? Und
was sind wir jeweils für sie, so über Kreuz? Und was ist, wenn die mal heiraten
und womöglich Kinder bekommen? Haben die dann auch irgendeinen
verwandtschaftlichen Titel, den ich wieder nicht kenne? Und was bin ich dann?
Schwipphalbgroßvetter mütterlicherseits?
Brechen wir die Sache an dieser Stelle
einmal ab, das führt doch eh zu nichts. Schauen wir uns stattdessen mal meine andere
Großmutter an. Also die väterlicherseits. Die hatte, wie gewöhnlich, einen
leiblichen Vater und eine leibliche Mutter. Dazu noch, das sei aber hier
wirklich nur am Rande erwähnt, zehn Geschwister. Durchaus üblich zu ihrer Zeit,
Ende des 19. Jahrhunderts.
Meine leibliche Urgroßmutter starb und mein Urgroßvater heiratete erneut. Nichts Ungewöhnliches eigentlich. Meine Großmutter war demnach kurzzeitig Halbwaise, bevor sie von ihrem Vater mit einer Stiefmutter versorgt wurde. Nun trug es sich aber tragischerweise zu, dass auch ihr leiblicher Vater vorzeitig dahinschied, meine Großmutter also erneut Halbwaise wurde (oder war sie dann doch irgendwie Vollwaise?).
Meine leibliche Urgroßmutter starb und mein Urgroßvater heiratete erneut. Nichts Ungewöhnliches eigentlich. Meine Großmutter war demnach kurzzeitig Halbwaise, bevor sie von ihrem Vater mit einer Stiefmutter versorgt wurde. Nun trug es sich aber tragischerweise zu, dass auch ihr leiblicher Vater vorzeitig dahinschied, meine Großmutter also erneut Halbwaise wurde (oder war sie dann doch irgendwie Vollwaise?).
Statt sich mit dem Stand einer mehr
oder minder lustigen Witwe zu begnügen heiratete meine Stiefurgroßmutter
väterlicherseits ihrerseits wieder. Wodurch meine Großmutter schon in frühester
Jugend in den für ein Kind doch äußerst verstörenden Stand versetzt wurde, am
Ende über ein runderneuertes Paar Eltern zu verfügen. Da kann man, unter familientherapeutischen
Gesichtspunkten, ja fast schon von Glück reden, dass der 1. Weltkrieg über sie
hereinbrach, so dass sie dann, wie ich weiß, andere Sorgen hatte, die sie von
diesen traumatischen Verhältnissen ablenkten.
Verwirrend finden Sie? Pah! Das ist
doch Pillipalla. Schnickschnack. Kinderkram. Nehmen wir mal Mick Jagger. Nur so
als Beispiel. Der ist jetzt, mit gestandenen 72, noch mal Vater geworden. Zum
achten Mal. Zumindest, was die Anzahl anerkannter Kinder betrifft. Nun aber ist
der virile alte Herr nicht nur mehrfacher Vater. Nein, nein: Der Apfel fällt
nicht weit vom Stamm des notgeilen Zausels. Soll heißen: Auch seine Nachkommen waren
seit jeher in besagter Beziehung recht fleißig. Was dazu geführt hat, dass Sir
Michael Philip Jagger nicht nur bereits Großvater ist, nein, seine liebliche
Enkelin Assisi (genau: wie Franz, der Vogelflüsterer) hat ihm schon vor Jahren
ein noch lieblicheres Urenkelkindchen geschenkt.
So weit, so gut. Um aber einmal zu
meinem persönlichen Problem zurückzukommen, das ich eingangs geschildert habe:
Kann mir bitte einmal jemand verraten, wie denn nun die verwandtschaftliche
Beziehung jenes Urenkelwonneproppens zu dem des neuesten dicklippigen Erdenbürgers
aus jaggerscher Produktion lautet? Halburgroßvetter zweiten Grades
väterlicherseits vielleicht? Ernstgemeinte Zuschriften erbeten an:
stefan.oehm@betriebsbereit.de
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