Mittwoch, 3. August 2016


Das Rätsel verwandtschaftlicher Beziehungen


Manchmal komme ich wirklich ins Schwimmen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Verwandtschaftsgrade zu bestimmen. Und das nicht erst seit dem inflationären Aufkommen der Patchwork-Familien. Nein, eigentlich immer schon. Ich vermute, das liegt in unserer eigenen Familienhistorie begründet. Der erste Ehemann meiner Großmutter mütterlicherseits verstarb nämlich sehr früh, kurz nach der Geburt des gemeinsamen Kindes. Einige Jahre später heiratete meine Großmutter wieder. Zwei Kinder waren die Folge, beides also Halbgeschwister des ersten Kindes. Dieses erste Gottesgeschenk war meine Tante, das zweite meine Mutter, das dritte mein Onkel. Der Oheim, ‚Oehm’. Wie passend.

Soweit nichts Ungewöhnliches. Nur dass eben meine Tante ja nur eine Halbschwester meiner Mutter und meines Onkels war. Also quasi meine Halbtante. Im Gegenansatz zu meinem Vollonkel. Was genealogisch bereits ein kleines Dilemma darstellt, da es eigentlich keine Halbtante, nur eine Tante 2. Grades gibt. Die wiederum wäre aber das Kind der Großtante resp. des Großonkels, welche/r ein/e Schwester/Bruder meiner Großmutter sein müsste.

Egal: Meine halbe Tante war für mich meine über alles geliebte Tante, basta. Und ihr angetrauter Ehemann war damit, so sagte man mir, mein Onkel. Der also auch. Was mich allerdings schon in frühester Jugend etwas irritierte. Nicht dass ich ihn nicht mochte, nein, ganz im Gegenteil. Aber der Mann meiner Halbtante erhielt den gleichen Titel wie mein Onkel. Also der richtige jetzt. Weil Vollbruder meiner Mutter. Das wollte mir nicht so recht in den Kopf. Was die Sache allerdings noch komplizierter machte, war: Die beiden bekamen Kinder.

Was sind denn nun diese Kinder meiner Halbtante für mich? Cousins und Cousine, genauer gesagt: Halbcousins und Halbcousine? Aber das gibt es eigentlich nicht. Zumindest nicht offiziell. Soweit ich weiß. Was ich aber weiß: Es sind nicht Cousins und Cousine 2. Grades. Denn die, siehe oben, müssten ja Enkelkinder einer Schwester oder eines Bruders meiner Großmutter sein. Da gibt es auch ein paar in unserer Mischpoke, aber die tun hier besser nichts zur Sache – das würde denn doch zu weit führen.

Mein Vetter also, um an ihm einmal mein Problem zu verdeutlichen, ist nicht mein Vetter 2. Grades, weil wir ja, wie gesehen, zwar die gleiche Großmutter, aber dummerweise nicht den gleichen Großvater haben, was der verwandtschaftlichen Beziehung einen eindeutigen Status geben würde. Ist er dennoch mein Vetter, also ein richtiger? Oder eben nur ein halber, weil Sohn der Halbschwester meiner Mutter, somit so was wie ihr Halbneffe? Oder etwa gar nichts dergleichen?

Die Sache wird nicht einfacher: Ich habe Kinder, er hat Kinder. Was sind die nun für mich und, vice versa, sie für ihn? Nichte und Neffe zweiten Grades ja nicht, denn dafür müsste mein Vetter (Halbvetter) und ich ja wie gesagt dieselben Großeltern mütterlicher- resp. väterlicherseits haben. Haben wir aber nicht. Ergo sind sie’s nicht. Aber was sind sie dann? Und was sind wir jeweils für sie, so über Kreuz? Und was ist, wenn die mal heiraten und womöglich Kinder bekommen? Haben die dann auch irgendeinen verwandtschaftlichen Titel, den ich wieder nicht kenne? Und was bin ich dann? Schwipphalbgroßvetter mütterlicherseits?

Brechen wir die Sache an dieser Stelle einmal ab, das führt doch eh zu nichts. Schauen wir uns stattdessen mal meine andere Großmutter an. Also die väterlicherseits. Die hatte, wie gewöhnlich, einen leiblichen Vater und eine leibliche Mutter. Dazu noch, das sei aber hier wirklich nur am Rande erwähnt, zehn Geschwister. Durchaus üblich zu ihrer Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts.

Meine leibliche Urgroßmutter starb und mein Urgroßvater heiratete erneut. Nichts Ungewöhnliches eigentlich. Meine Großmutter war demnach kurzzeitig Halbwaise, bevor sie von ihrem Vater mit einer Stiefmutter versorgt wurde. Nun trug es sich aber tragischerweise zu, dass auch ihr leiblicher Vater vorzeitig dahinschied, meine Großmutter also erneut Halbwaise wurde (oder war sie dann doch irgendwie Vollwaise?).

Statt sich mit dem Stand einer mehr oder minder lustigen Witwe zu begnügen heiratete meine Stiefurgroßmutter väterlicherseits ihrerseits wieder. Wodurch meine Großmutter schon in frühester Jugend in den für ein Kind doch äußerst verstörenden Stand versetzt wurde, am Ende über ein runderneuertes Paar Eltern zu verfügen. Da kann man, unter familientherapeutischen Gesichtspunkten, ja fast schon von Glück reden, dass der 1. Weltkrieg über sie hereinbrach, so dass sie dann, wie ich weiß, andere Sorgen hatte, die sie von diesen traumatischen Verhältnissen ablenkten.

Verwirrend finden Sie? Pah! Das ist doch Pillipalla. Schnickschnack. Kinderkram. Nehmen wir mal Mick Jagger. Nur so als Beispiel. Der ist jetzt, mit gestandenen 72, noch mal Vater geworden. Zum achten Mal. Zumindest, was die Anzahl anerkannter Kinder betrifft. Nun aber ist der virile alte Herr nicht nur mehrfacher Vater. Nein, nein: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm des notgeilen Zausels. Soll heißen: Auch seine Nachkommen waren seit jeher in besagter Beziehung recht fleißig. Was dazu geführt hat, dass Sir Michael Philip Jagger nicht nur bereits Großvater ist, nein, seine liebliche Enkelin Assisi (genau: wie Franz, der Vogelflüsterer) hat ihm schon vor Jahren ein noch lieblicheres Urenkelkindchen geschenkt.

So weit, so gut. Um aber einmal zu meinem persönlichen Problem zurückzukommen, das ich eingangs geschildert habe: 

Kann mir bitte einmal jemand verraten, wie denn nun die verwandtschaftliche Beziehung jenes Urenkelwonneproppens zu dem des neuesten dicklippigen Erdenbürgers aus jaggerscher Produktion lautet? Halburgroßvetter zweiten Grades väterlicherseits vielleicht? Ernstgemeinte Zuschriften erbeten an: stefan.oehm@betriebsbereit.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen